Ich haette dich geliebt
in den Tag hineinleben. Wenn das alle machen würden! Ich habe immer gearbeitet. Jetzt nicht mehr. Ich habe aber immer noch genug zu tun. Mein Mann ist viel beschäftigt. Jemand muss sich um alles kümmern. Sie haben sicher auch viel zu tun?“
„Es geht, ich kann mir die Zeit selbst einteilen.“
Diese Frau war das Gegenteil meiner Mutter. Heidi Körbers hektischer Blick und ihre affektierte Sprache strahlten eine wahnsinnige Anspannung aus. Ich fühlte mich unwohl in ihrer Gegenwart, aber sie tat mir auch leid. Ihre Bemühungen, die absolute Kontrolle über sich zu bewahren, ließen sie jede Natürlichkeit verlieren.
„Ach ja? Das ist heutzutage wohl so Usus. Jeder arbeitet, wie es ihm passt. Jedenfalls: Der Louis war ein lieber Mensch. Keine Frage. Aber er hatte ein Problem mit der Disziplin. Und mit seinem Zeitmanagement stimmte etwas nicht. Wir waren um drei verabredet. Und er kam um fünf. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir hatten auch schöne Tage. Aber irgendwann hat es mir gereicht. Er wollte weder mit mir zusammenwohnen, noch in den Urlaub fahren. Einmal schlug ich ihm vor, außerhalb der Stadt zu picknicken. Er war außer sich. ‚Auf gar keinen Fall, Heidi!‘ Das hat er gesagt.“
Heidi Körber schaute das erste Mal in die Karte.
„Wie lange waren Sie zusammen?“
„Es waren zwei Jahre – ich nehme den Salat mit Pfifferlingen.“ Wieder rief sie den Kellner forsch zu sich. Ich bestellte das Gleiche und hoffte, dass sie mich einladen würde. Die Preise waren unverschämt.
„Ja, zwei Jahre waren es. Und wissen Sie was? Als ich dann gegangen bin, hat er mir noch nickend hinterhergeschaut. Damals hat mich das verletzt. Wissen Sie, eine Frau so leicht gehen zu lassen. Das schmerzt. Wie er mich manchmal angesehen hat. Wie eine Außerirdische hat er mich angestarrt. Ihr Vater, meine Liebe, war nicht beziehungsfähig. Ganz und gar nicht. Ich weiß ja nicht, wie es ihrer Mutter ergangen ist. Kein Wort hat er darüber verloren, aber ich habe ihr Foto gesehen. Er hat es in seinem Schlafzimmer hängen gehabt und sich geweigert, es abzunehmen. Dabei war ich ja da. Und um seine Tochter, also Sie, hat er sich ja auch nicht gerade gekümmert, oder? Verantwortung war eben nicht seine Stärke.“
Am liebsten hätte ich ein zweites Glas Champagner bestellt. Aber Heidi Körber schüchterte mich ein. Sie schien sich ihrer Sache sicher. Sie gehörte nicht zu der Sorte Menschen, die ihr eigenes Dasein hinterfragten. Mir verging in Gegenwart solcher Leute immer die Lust zum Reden. Dafür schmeckte der Salat. Das Baguette dazu war warm und knusprig.
„Junge Frau, das Brot sollten Sie liegen lassen. Man gewöhnt sich daran. Glauben Sie mir. Reiner Zucker ist das. Das tut Ihnen was. Der Louis hat ja auch immer gegessen, was ihm geschmeckt hat. Und dem Alkohol war er auch nicht abgeneigt. Und diese Zigaretten. Am Stück hat er die gepafft. Naja, und als dann noch seine Veranstaltungsagentur pleite ging, war es mit der Eigeninitiative ganz aus. Der Molter hat ihm einen Job besorgen müssen. Tja, und dann musste er Autos verkaufen. Ich konnte das kaum mit ansehen. Das ist doch kein richtiger Beruf.“
Am liebsten hätte ich sie gefragt, was sie denn dann überhaupt an diesem Louis Kampen gefunden hat. Ich wollte das Gespräch beenden und fragte sie, ob sie zu der Beerdigung kommen würde.
„Ja, natürlich komme ich. Meine Güte, wir hatten ja auch schöne Zeiten.“
Heidi Körber schien empört über die Vorstellung, nicht bei der Beerdigung zu sein. Dann schwiegen wir. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Alles sah ganz danach aus, als ob sich hier niemand irrte. Dieser Louis Kampen konnte nur mein Vater sein. Es war eher so, dass ich meine Mutter nicht gut genug gekannt hatte. Der Gedanke machte mich traurig.
„Sind sie verheiratet?“, fragte Heidi Körber plötzlich.
„Nein, noch nicht.“
Das noch rutschte mir unfreiwillig raus. Vielleicht hatte mein Unterbewusstsein andere Pläne als ich.
„Tun sie es. Es bringt Ordnung ins Leben. Es hat Struktur. Ich bin der Meinung, man kann mit jedem zusammenleben, wenn beide es wollen. Schicksal und dieser ganze Humbug. Glauben Sie mir. Es gibt das alles nicht. Man muss eine Entscheidung treffen. Will ich jetzt mit diesem Mann zusammenleben oder nicht? Dann muss man alles dafür tun, dass es eben auch klappt. Und er natürlich auch. Heutzutage wechseln die Leute ihre Partner wie den Friseur. Aber sind sie glücklicher? Wohl kaum.“
Heidi Körber zahlte und
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