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Ich hatte sie alle

Ich hatte sie alle

Titel: Ich hatte sie alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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Weltbestseller zu produzieren. Körperlich intakt, musste ich also die Krankenkasse von einer tiefen, seelischen Pein überzeugen, die mich so stark quäle, dass nur Davos im Spätherbst mir helfen könne. Gutgelaunt erzählte ich also einer eingerosteten Psychologin, dass ich sehr einsam sei. So einsam, dass meine einzige Gesprächspartnerin meine Plüschhandtasche, zärtlich Taschi genannt, sei. Der Plan ging voller auf als gedacht. Schon wenige Tage später fand ich mich in einer psychosomatischen Einrichtung im nördlichen Niedersachsen wieder. Ganz ohne kariertes Plaid auf den Knien.
    Ich dachte immer, das Schlimmste sei die Maltherapie. Dabei sollte ich doch mittlerweile wissen, dass das Böse stets noch einen Multiplikator findet. Heute findetalso meine erste Einheit von »Therapeutisches Malen in Gruppen« statt.
    Im Grunde genommen ein gewagtes Projekt, weil die Irren hier noch mal extra neu gemischt werden. Beim meditativen Individualkrakeln dürfen wir Privatpatienten ja meist immer unseren Gefühlen freien Lauf lassen und auch mal an die teuren Ölfarben ran. Die Bilder der Essgestörten, die in der Stunde vor uns dran sind, liegen dann immer zum Trocknen herum. Ich behaupte, mittlerweile sehr genaue Blind-Diagnosen anhand ihrer Werke erstellen zu können. Äußerst beliebt bei Bulimikerinnen ist das Motiv »Kleines zusammengekauertes Strichmännchen in undurchdringlichem schwarzem Kreis«, während die Magersüchtigen gerne weiche, runde Wellenlinien zeichnen, möglichst in warmen Erdtönen.
    Die wahre Herausforderung ist es, zu erraten, welches Bild zu welcher Themenvorgabe gemalt wurde. Denn scheinbar sind kackfarbene Wellenlinien der ideale künstlerische Ausdruck, um sowohl »Ich selbst innerhalb meiner Familie« als auch »Meine Traumlandschaft« oder auch »Mein Leibgericht, wenn ich essen würde« darzustellen.
    Ich habe meiner Lieblingsmagersüchtigen Andrea,die die Maltherapie ebenfalls hasst, geraten, aus Energiespargründen einfach immer wieder dasselbe Schlammlawinenbild zu präsentieren. Das Experiment war ein Teilerfolg: Bei der ersten Präsentation von »Wellenlinien camouflage« beurteilte die Hungertherapeutin das Werk als interessant, bei der zweiten Ansicht wolltesie »enorme Fortschritte« beobachtet haben, und beim dritten Mal empfahl sie eine Verlängerung von Andreas Klinikaufenthalt.
    Jetzt wissen wir nicht, ob wir die Therapeutin verarscht haben oder umgekehrt. Deswegen gehen Andrea und ich morgen runter ins Dorf, um für eine neue Versuchsreihe die Wellenlinien farbzukopieren und an sämtliche Insassen der Klinik zu verteilen. Wir sind sehr gespannt auf das Ergebnis.
    Aber wie gesagt, Gruppenmaltherapie ist eine ganz andere Tasse Tee, und ich kann nur hoffen, dass ich entsprechend vorbereitet bin.
    Um meine Psychologin zu erfreuen, nehme ich meine Plüschtasche mit in den Werkraum und lege sie auf den Stuhl neben meinem. Wenn jemand fragt, ob der Platz frei sei, gucke ich den Betreffenden schräg an und entgegne, dass er das schon Taschi selber fragen müsse.
    Die Psychologin macht sich eifrig Notizen. Ich lache mir heimlich ins Fäustchen. Die haben wir aber ausgetrickst, was, Taschi?
    Irgendwann sitzen alle, und die Psychologin sieht sehr zufrieden aus. An jeder Tischgruppe sitzt je ein Essgestörter, ein Depressiver, ein Zwanghafter und ein Angstpatient. Meine Gruppe ist wieder mal der freakigste Haufen: Meine Freundin Wilmy mit dem Waschzwang; Anton, der sensible Pedant; Zarah, die schon vier Mal versucht hat, sich das Leben zu nehmen, weil sie solche Angst hat zu sterben; und ich, Diagnose albern. Nicht zu vergessen Taschi, die heute ihre nichtallzu manische Phase hat und ausdruckslos auf ihrem Stuhl liegt.
    Unsere Aufgabe hört sich genauso an, wie ich es erwartet hatte: »Ich möchte, dass jetzt jede Gruppe eine Insel auf ihr schönes, riesiges Plakat malt. Die einsame Insel, die Sie sich in Ihren Träumen vorstellen, und jeder aus jeder Gruppe darf drei Dinge dazu malen, die er oder sie gerne mitnehmen würde.«
    In diesem Moment halte ich mir die Ohren zu, weil ich den nächsten Satz einfach nicht mehr hören kann und bei wiederholtem Ausspruch fürchte, ganz spontan und expressiv ins Bulimielager zu wechseln: »Ich denke, dass da ganz, ganz spannende Sachen bei rauskommen werden.«
    Während Wilmy noch hektisch damit beschäftigt ist, sich einen sagrotangetränkten Malerkittel umzubinden und Zarah schon bei dem Gedanken an eine einsame Insel blau anläuft, sehen Taschi

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