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Ich hatte sie alle

Ich hatte sie alle

Titel: Ich hatte sie alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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Gil streichelte ihm über den Kopf und wollte ihm seinen Walkman schenken. George stieß ihn weg, und das hochwertige Gerät zersprang in tausend Teile. Alle verzichteten auf ihre Gage, weil Nicolas schließlich auch seinen Job losgeworden war. Zwei Tage lang sprach keiner ein Wort mit mir, ausgenommen Drei-Finger-Eddie, dem ich meine Chubby-Bunny-Technik erklären sollte. Wie sagte er so schön: »Genau deswegen schaffen es die meisten in Hollywood nicht. Sie haben das Prinzip nicht verinnerlicht, du weißt schon: The Show must go on! «
    Eddie musste wissen, wovon er sprach; er hatte angeblich seine beiden Finger beim Pokern verloren und trotzdem weitergespielt.

Metzgerskinder sind oft Vegetarier, Zahnarztkinder leiden unter Mundfäule, und die Kinder der 68er wandern nach Bayern aus, um die CSU wählen zu können. Die nächste Generation wird sich immer auflehnen gegen die Ideale ihrer Eltern, und das zu Recht. Denn nur die Betroffenen können sich vorstellen, was es heißt, in einem Extremistenhaushalt aufgewachsen zu sein, in dem man jeden Morgen mit Mettbrötchen, Zahnpflegefaschismus oder dem Brummen der Getreidemühle geweckt wurde. Da muss man einfach ganz, ganz anders werden.
    Meine Mutter zum Beispiel arbeitet bei meinem Frauenarzt. So kam es, dass ich mit fünf Jahren zum ersten Mal aufgeklärt wurde. Meine Mutter hatte ein pädagogisch wertvolles Büchlein erstanden, in dem »mit vielen lustigen Zeichnungen einfühlsam in die Welt der Sexualität eingeführt« wurde. Das kann schon sein. Unglücklicherweise konnte ich noch nicht lesen und war so auf die Erläuterungen meiner älteren Schwester angewiesen. Diese blätterte in dem Buch, fand schließlich die Zeichnung, auf der die Comic-Frau mit verliebtemAugenaufschlag unter dem Comic-Mann lag, und meinte lapidar: »So bist du entstanden.«
    Skeptisch schaute ich mir das Bild an und sagte bestimmt: »Du vielleicht, ich doch nicht!«
     
    In dem Alter, in dem ich anfing mich »für Jungs zu interessieren«, tat meine Mutter alles, damit dieses Interesse schnell wieder abflaute. Sie hat einfach nie verstanden, dass Sexualität nicht sexy ist. Beim Frühstück wurde über Vor- und Nachteile verschiedener Verhütungsmethoden doziert; unvergessen blieb vor allem, wie meine Mutter anhand einer Ravioli und einer Weinflasche das Einführen eines Diaphragmas demonstrierte.
    So hegte ich lange Zeit den Wunsch, Nonne zu werden. Das bot sich schon aus dem Grunde an, weil alle meine männlichen Bekanntschaften sich für ein Mönchsdasein entschieden hatten, nachdem sie bei einem Besuch in meinem Elternhaus die Diashow der Geschlechtskrankheiten hatten ansehen dürfen. Meine Entjungferung fand nicht ohne Grund 4000 Kilometer weit von meinem Heimatort entfernt statt. Denn nur so hatte ich eine relative Sicherheit, dass meine Mutter nicht ins Zimmer spazieren und uns persönlich beim Anlegen des Gummis behilflich sein würde.
    Bei allen guten Absichten, die meine Mutter mit ihrer Kampagne hegte, erreichte sie natürlich und immer wieder das Gegenteil. Meine Schwester und ich wurden nie zu dem Typ Frau, der sich offen über etwaige Beschwerden im unteren Bereich äußern konnte odersich gar auf einen Besuch beim Frauenarzt freute. Zwar hatten wir uns verbeten, dass unsere Mutter mit ins Sprechzimmer kam, aber natürlich las sie unsere Karteikarten und sah unsere Laborberichte durch. So kam es oft zu Verquickungen der persönlichen Art, die eine ärztliche Schweigepflicht ungefähr so sinnvoll machten wie einen Porno für Blinde. Meine Mutter fragte mich beispielsweise: »Ich dachte, mit Ralf sei Schluss?«
    »Ja und?«
    »Wer schwimmt denn dann in deinem Abstrich rum, hm?«
    Meine Mutter kennt zwar jede ausgestorbene Pilzinfektion mit lateinischem Namen, aber Worte wie »Versöhnungssex« oder »Sportfick« finden sich nicht in ihrem Vokabular.
    Ich dachte noch, diese peinlichen Erlebnisse würden für immer der Geschichte angehören, als ich in eine größere Stadt, nämlich Düsseldorf, zog, in der meine Anonymität gewahrt bleiben sollte. Eines Tages aber musste ich feststellen, dass ich nicht für alle Missgeschicke meines Lebens meine Eltern verantwortlich machen konnte – ich war endlich selbstständig genug, um mich ganz allein in unsägliche Situationen zu bringen.
    Ich möchte an dieser Stelle nicht ins Detail gehen. Um es zaghaft auszudrücken, hatten mein neuer Freund und ich das alte Sprichwort »Liebe macht blind« bestätigt. Für unsere

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