Ich hatte sie alle
und ich interessiert zu, wie Anton ein Lineal zu Hand nimmt, um die einsame Insel in gleich große Planquadrate einzuteilen. Dann beginnt er, sein Eckchen mit einer Art Dreifelderwirtschaft für gemischtes Saatgut zu bepflanzen.
Wilmy ist fertig mit Desinfizieren und malt erst einmal eine Sprühflasche mit Totenkopf in ihren Teil der Insel.
Plötzlich inspiriert, nehme ich mir auch einen Bleistift zur Hand und ziehe einen Strich durch meinen Inselteil. Schließlich soll auch Taschi mitdenken dürfen. Dann male ich zwei Palmen und eine Schachtel Kippen auf meine Seite. Taschi will ein Pony mitnehmen, und ichmale ihr eins. Dann weiß sie nicht mehr weiter, und ich bequatsche sie, dass sie ja dann für mich noch zwei Ersatzpackungen Kippen mitnehmen könne. Sie erweist sich als echte Freundin, und wir sind fertig mit malen.
Zarah hat sich mittlerweile wie ein Geier über ihr Inselviertel gebeugt, den einen Arm davor verschränkt, damit auch ja keiner abguckt. Mit der anderen Hand malt sie so konzentriert und schnell, dass ihr der Schweiß millimeterdick auf der Stirn steht. Ich verstehe jetzt, warum die Frau schon Angst hat zu sterben, wenn sie sich bloß ein Brötchen schmiert.
Irgendwann kommen wir »dann langsam zum Schluss«, und jeder Einzelne darf sich für seine lausigen Wünsche und miserablen Zeichenkünste rechtfertigen. Natürlich haben einige den Sinn der Sache wieder nicht verstanden. Die kleine Nina aus meiner Station will unbedingt und ausschließlich ihre Mutter mitnehmen, und während unsere Therapeutin noch versucht, ihr ganz sensibel zu erklären, dass Mutti eine Person und keine drei Dinge ist, blafft eine Patientin vom Nebentisch eher weniger sensibel: »Ey, Nina, einsame Insel, dat is wie hier, verstehste, nur ohne andere Idioten, die rumnerven!«
Nina starrt die besagte Patientin an, droht in Tränen auszubrechen, fasst sich aber wieder und sagt ganz ruhig: »Okay, dann nehm ich ’nen Discman mit. Soll ich meine Mutti durchstreichen oder einen Kasten mit Kopfhörern um sie drummalen?«
Wir alle starren unsere Therapeutin gespannt an. Sie wirkt unsicher. Mutti durchstreichen wäre bestimmtein wichtiger Schritt in Ninas Heilungsprozess, allerdings verspricht Muttis Mutation in einen tragbaren CD-Player eine künstlerische Sensation. Aber unsere Therapeutin ist eine feige Nuss: »Nina, wir lassen das erst mal so stehen.«
Ein kollektives Seufzen geht durch den Werkraum. Wenn irgendetwas »erst mal so stehen gelassen« wird, kann der Betreffende sich auf eine mindestens dreiwöchige Verlängerung seines Klinikaufenthaltes gefasst machen. Hoch gepokert, Nina, und verloren.
Während die anderen Patienten nun nacheinander ihre Bilderinseln erklären, begreife ich, dass man bei dem Spiel gar nicht gewinnen kann . Ganz egal, ob man nun sein Lieblingsbuch, ein Kartenspiel, einen Panzer oder eine Flasche Meister Proper gemalt hat, jeder Gegenstand wird nur als Beleg für die jeweilige Diagnose dienen, sei sie nun »zwanghaft«, »depressiv«, »süchtig« oder eben »albern«. Selbst völlig gesunde, stinkreiche und schwerverliebte Menschen könnten keine drei Dinge für eine Insel auswählen, die nicht irgendwie bedenklich erscheinen würden. Die Frage könnte ebenso gut lauten: »Was sollen wir dir denn in deinen Sarg reinlegen, falls du es hier nicht schaffst?« Ich rege mich auf, weil der Trick genauso mies wie billig ist.
Plötzlich ist unsere Gruppe dran. Zarah soll ihren Inselteil freigeben, und nach einigen Sekunden des Hyperventilierens hebt sie tatsächlich ihre Arme vom Tisch. Ich erkenne einen schwarzen Kasten, der eine Spinne ausspuckt, einen etwas größeren, gelben Kasten und ein Ei mit Skiern dran. Originell, da hätteich mal drauf kommen sollen. Auch die Therapeutin scheint gespannt auf Zarahs Erklärung. »Das da«, beginnt Zarah mit erstickter Stimme und zeigt auf den kleinen schwarzen Kasten, »ist ein EKG-Gerät. Wenn ich wieder meine Herzrhythmusstörungen bekomme, schließe ich mich daran an. Wenn es lebensbedrohlich wird, gehe ich zur Telefonzelle.«
Sie deutet auf den gelben Kasten und erläutert weiter: »Von da aus rufe ich im Krankenhaus an und sage Bescheid, dass ich jetzt mit dem Hubschrauber ( das Ski fahrende Ei ) losfliege, sie sollen einen OP freihalten.«
Wir glotzen stumm auf unsere Insel. Plötzlich höre ich ein einsames Klatschen. Es kommt von meinen Händen. Die anderen stimmen in den Applaus ein. Zarah hat nicht nur die Maltherapie überlebt, sie hat auch
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