Ich hatte sie alle
Heimwerkerfreunde: Die Schraube wurde nicht exakt da eingebohrt, wo Gott vorgedübelt hatte, sondern genau dazwischen.
Natürlich passierte das an einem Samstag. Der diensthabende Notarzt für solche Fälle befand sich in der Innenstadt, genauer gesagt lag seine Praxis über einem exklusiven Herrenausstatter auf der Düsseldorfer Kö. Ich machte mich trotzdem auf den Weg zu ihm, denn ich hatte wirklich, wirklich Schmerzen.
Ich mag ein Landei sein, aber die Einrichtung in dieser Arztpraxis war nicht nur etwas ausgefallen großstädtisch, sondern schlicht nicht normal. Die Sprechstundenhilfe saß auf einem goldenen Thrönchen hinter einer Theke, die mit Ü-Ei-Figuren überladen war. Sie begrüßte die Patientin, die vor mir an der Reihe war, mit Bussi links und rechts. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass der Gang zum Sprechzimmer mit DIN-A2-großen Fotos tapeziert war, die verschiedene Größen aus dem Showgeschäft mit immer demselben kleinen, dicken Mann zeigten.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte mich das geliftete MTA-Busenwunder.
Offen und aufgeklärt wie ich bin, beugte ich mich zu der Brutalblondierten herunter und schaffte es, gleichzeitig zu stammeln und zu flüstern: »Ich, äh, hatte also … Sex. Und … ich … ich … kann … jetzt sehr schlecht sitzen.«
Die Dame sah mich ruhig und abschätzend an, um dann umso lauter zu plärren: »Na, ich hoffe, es hat wenigstens bis dahin Spaß gemacht. Ist das privat oder Kasse?«
Ich füllte den Papierkram aus und begab mich ins Wartezimmer. Statt nach Babycreme roch es nach Eternity ; die einzigen Zeitschriften, die es gab, waren der amerikanische Cosmopolitan und die Gala . Es gab keinen Wickelraum, dafür aber einen Espresso-Automaten. Ich fühlte mich nicht wirklich besser aufgehoben als in der Praxis meiner Mutter. Genau genommen fühlte ich mich wie in der Garderobe einer zu Recht nie ausgestrahlten Sitcom. Es kann sein, dass die Autogrammkarten an den Wänden mit Widmungen an Dr. Fantastisch dazu beitrugen.
Dann hatte ich meinen Gastauftritt. Der kleine, dicke Mann von den Fotos stürmte ins Wartezimmer, begrüßte die anderen anwesenden Damen mit Luftküsschen, dann deutete er in meine Richtung: »Sie sind das mit dem wilden Liebesleben? Ich bin so gespannt, kommen Sie, kommen Sie!«
»Gespannt« war gar kein Ausdruck für den Zustand, in dem ich mich befand. Dr. Fantastisch wirkte in natura noch gnomenhafter als auf den Fotos und war ungefähr so breit wie hoch. Dabei war er äußerst quirlig in Gestik und Mimik. Sagen wir einfach, er war der Geist von Louis de Funès gefangen im Körper von Danny De Vito.
»Was ist denn genau passiert, hm?«
Dr. Fantastisch war auf seinen Stuhl gesprungen, seine Füße erreichten nicht einmal den Boden. Insofern war er prädestiniert für seinen Beruf. Ich beschloss, das Unangenehme von jetzt an so schnell wie möglich hinter mich zu bringen: »Herr Doktor, ich glaube, ich bin da unten … irgendwie … eingerissen.«
Dr. Fantastisch sprang blitzschnell wieder von seinem Stuhl herunter: »Oh, nein, oh Gott … was, wieist das denn passiert? Irgendwelche Geräte? Nein? Ihr Mann, zu gut ausgestattet vielleicht? Auch nicht, hm? Wie lagen Sie denn? Wissen Sie was, malen Sie es, malen Sie …«
Er zog eine Flipchart hervor und drückte mir einen Edding in die Hand. Ich stand reglos da. Ich hätte nie gedacht, dass ich den folgenden Satz jemals zu einem Gynäkologen sagen würde: »Wollen Sie es sich nicht einfach ansehen?«
Dr. Fantastisch schüttelte energisch den Kopf.
»Meine Liebe, ich bekämpfe Ursachen, nicht Symptome. Aber ich kann auch malen, geben Sie mir den Stift, und Sie, Sie beschreiben es derweil, ja?«
Großartig. Ich spielte Montagsmaler mit einem hyperaktiven Medizintroll.
»Ah, Sie standen? Beide? Ach so, die Leidenschaft, ja, ja. Au! Au! Der muss hart gewesen sein, nicht?«
Ich wollte nach Hause zu meiner Mama. Doktor Fantastisch sah mich mit weit aufgerissenen Augen an: »Na, na, na, wer wird denn weinen? Wollen Sie ein Taschentuch? Oder einen Espresso?«
Da an diesem Ort sowieso verkehrte Welt war, entschied ich mich zur Beruhigung für einen Espresso.
»Was, äh, machen Sie denn so beruflich?«, fragte mich der Doc, während er sich Notizen machte.
»Ich bin Werbetexterin«, murmelte ich.
Doktor Fantastisch ließ seinen Mont-Blanc-Füller auf den Boden fallen und schrie begeistert auf: »Nein, wirklich? Das ist ja toll! Das ist ja prima! Ich habe auch mal
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