Ich hatte sie alle
dass Sport zur Förderung der Gesundheit seiner Meinung nach maßlos überschätzt werde. Wahrscheinlich log er deshalb so dreist, weil er davon ausging, dass meine roten Stinker Leistungssport betreiben müssten, um derart intensiv zu müffeln.
Vor den Röntgenkabinen wartete ein elegant gekleideter Herr neben mir. Als der Professor erschien, sprachen die beiden seinen Leberkrebs im Endstadium durch; der elegante Herr gab sich kämpferisch. Er schnüffelte in der Luft, warf einen Blick auf mich und meine Füße und sagte schließlich tapfer: »Andere Leute haben noch viel schlimmere Schicksale zu verkraften.«
Ich bin immer froh, wenn ich anderen Leuten Mutmachen kann. Beim Röntgen enttarnte ich mich als Profi und ließ mir die Bleischürze zuwerfen. Der Radiologe war irgendwie niedlich, und ich hätte ihn gern mal mit anderen Schuhen wiedergesehen. Ich beeindruckte ihn damit, dass ich meinen Fuß auf Anweisung geschickt in die gewünschten Positionen brachte, ohne dass er Hand anlegen musste. Endlich zahlte sich das jahrelange Räkeltraining auf Liegemöbeln aus.
Zurück in der Notaufnahme, öffnete der Arzt schon das Fenster, als er mich sah, und ich beschloss, Klartext mit ihm zu reden: »Tut mir leid wegen der Schuhe.«
Er nickte stumm und mit angehaltenem Atem. Der Fuß war natürlich nicht gebrochen und bekam deshalb auch keinen geruchshemmenden Gips. Der Arzt verstand, dass ich trotzdem nicht am nächsten Tag zur Arbeit gehen wollte – angetan mit den roten Stinkern. Leider konnte er mich nicht krankschreiben, empfahl mir aber dringend, den gelben Schein bei meiner Hausärztin einzufordern. Er winkte mir mit zugehaltener Nase zu, und ich schaffte es relativ zügig nach Hause zurück, da alle mir entgegenkommenden Menschen die Straßenseite wechselten.
Ich rief meine Hausärztin an. Ich mag sie wirklich. Sie ist nicht nur praktische Ärztin, sondern auch Psychotherapeutin. Als mir die Arbeit bei der Werbeagentur zum Hals raushing, hat sie mir ein Attest geschrieben, das belegt, dass ich dort praktisch seelisch gefoltert wurde. Ich habe ein paar gute Gespräche mit ihr geführt, die meine Krankenkasse sogar bezahlt hat. Das einzige Problem mit ihr ist, dass sie ein bisschen übermotiviertist, was ihre Patienten angeht. Ich erzählte ihr von meiner Sportverletzung und fragte sie, ob sie mich für den nächsten Tag von meiner Arbeit fernhalten könne.
»Es ist doch aber eine vorwiegend sitzende Tätigkeit, die Sie dort im Büro ausüben, oder nicht?«
Ich erklärte ihr, dass es mir nicht ums Sitzen, Stehen oder Rumlaufen bei der Arbeit ginge, sondern um die Geruchsentwicklung meiner einzig möglichen Fußbekleidung. Natürlich dachte ich, dass sie sofort Verständnis für das Phänomen Rote Stinker haben würde, aber leider sah sie ein viel tiefgreifenderes Problem, als ich es je vermutet hätte: »Sind das wieder diese Ängste, sozial nicht kompatibel zu sein, Frau Buddenkotte?«
Ich schüttelte den Kopf, eine dämliche Angewohnheit von mir; ich vergesse immer wieder, dass die Person am anderen Ende der Leitung mich in den allermeisten Fällen nicht sehen kann. Dann sagte ich: »Nein, nur mein Fuß, der ist im Moment wirklich eher, äh, introvertiert. Ich meine, mir geht’s gut, aber mein Schuh hat Schwierigkeiten mit der Umwelt.«
Klar, so ein geballter Müll musste sich für das psychologisch geschulte Ohr alarmierend anhören.
»Frau Buddenkotte, ich mache Ihnen jetzt einen Vorschlag: Wie wäre es also, wenn Sie um sechs zu meiner Gruppentherapie kommen, und wenn Sie dann noch Probleme mit Ihrem introvertierten Fuß haben, schreib’ ich Sie krank?«
Das klang gut. Das klang nach Erpressung. Also willigte ich ein.
In den mir verbleibenden zwei Stunden überlegte ich mir, wie ich am einfachsten zu meinem gelben Schein kommen würde.
Ich konnte noch ein wenig spazieren gehen, bis die roten Stinker so erbärmlich riechen würden, dass meine Ärztin die bedrohliche Lage sofort erkennen und mich ohne Gruppentherapie krankschreiben würde. Allerdings war ihr zuzutrauen, dass sie mich trotz des Pestbeulengestanks zur Gruppentherapie bitten würde. Dort gingen dann Leute mit echten Problemen langsam und qualvoll zugrunde, weil ihre guten Therapiefortschritte sie davon abhalten würden, schreiend aus einer Arztpraxis zu türmen.
Möglichkeit Nummer zwei bestand darin, barfuß zu meiner Ärztin zu gehen. Aber dann würde sie mir sagen, ich könne ja auch barfuß ins Büro gehen. Sie ist da so herrlich
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