Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich hatte sie alle

Ich hatte sie alle

Titel: Ich hatte sie alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
Vom Netzwerk:
kinderte auf dem Boden herum.
    Wir hörten, wie die Wohnungstür geöffnet wurde, und vernahmen zwei Stimmen aus der Diele. Eine klang beinahe männlich. Meine Eltern sahen sich bedeutungsvoll an. Meine Mutter reagierte blitzschnell und knotete ihren Bademantel zu. Mein Vater schaute hilfeheischend nach einem Oberhemd, ich hörte zur Abwechslung mal damit auf, mir meinen Unterarm mit Texten von The Cure vollzukritzeln. Selbst mein Bruderschien sich des Ernstes der Lage bewusst und stellte das Sabbern ein. Fremder Mann im Anmarsch. Erster Freund von großer Tochter. Vielleicht was Ernstes. Er sollte unsere Familie nicht gleich von ihrer lässigsten Seite kennen lernen.
    Meine Schwester schien ihren Lover erst noch in der Diele zu instruieren, sodass meine Restfamilie geschlagene fünf Minuten angespannt und übertrieben aufrecht sitzend abwartete, dass der Mann präsentiert werden würde. Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Meine Schwester lugte ins Zimmer hinein. Hinter ihr wuselte auch etwas herum, etwas Lebendiges. Meine Schwester griff hinter sich, zog den Mensch hervor und sagte: »Das is’ Lenny.«
    Wir verharrten weiter in Erdmännchenmanier. Lenny war ein strähniger Pickel. Er hatte ein Megdeath -T- Shirt über seiner Hühnerbrust und Cowboystiefel an den Enden seiner O-Beine. Er hatte die unvermeidliche Steckdosen-Nase und wahrscheinlich auch das Mofa, das jeder erste Freund haben muss. Er war klein. Zu klein, als dass meine hünenhafte Familie ihn als »Mann« hätte deklarieren können. Bestenfalls als »Jungchen« würde er durchgehen, eher noch als »Lumpi«.
    Mein Bruder brach endlich das Eis und hieß Lenny mit einem feuchten Furz willkommen. Meine Mutter versuchte, ihr Grinsen zu unterdrücken, und täuschte ein Lächeln vor.
    »Lenny«, sagte sie schließlich, »kommt das von Leonard?«
    Lenny, der schon fast wieder rückwärts durch denRaum entwischt wäre, hätte meine Schwester ihm nicht den Weg versperrt, lächelte dankbar zurück: »Nee, ich komm’ von Dortmund.«
    Mein Vater stellte sich einfach schlafend, was nicht besonders überzeugend kam, da er immer noch aufrecht saß.
    Lenny hätte jetzt eine gute Gelegenheit gehabt, zu verschwinden, denn meine Schwester war vor Scham im Erdboden versunken. Aber er, das Lenny, schien sich jetzt offenbar wohler zu fühlen. Er erinnerte sich sogar daran, dass es angebracht sei, jedem die Hand zu schütteln. Unglücklicherweise fing er bei meinem Bruder damit an. Wenn man nach all den Körperflüssigkeiten gegangen wäre, die mein Bruder ihm nun übergeben hatte, hätte Lenny spätestens jetzt zur Familie gehört.
    Ich verspürte einen Anflug von Mitleid für die Anwesenden. Einmal für Lenny, der versuchte, sich unauffällig die Hand an seiner domestosgebleichten Jeans abzuwischen. Dann natürlich für meine Eltern, die sich die ganze Sache irgendwie anders vorgestellt hatten. Es kamen sogar solidarische Gedanken gegenüber meiner Schwester auf: Normalerweise war ich es, die undefinierbares Zeug mit nach Hause schleppte – wobei ich mittlerweile schlau genug war, dieses so schnell wie möglich und unauffällig in mein Zimmer zu schaffen.
    Meine Schwester war indessen aus ihrer Erdspalte hervorgekrochen und gliemte in meine Richtung. Ihr Blick war schwer zu deuten. Entweder sollte ich dem Lenny lieb die Hand geben oder ihn erschlagen. Ich entschied mich für ein Mittelding und erwähnte intelligenterweise,dass ich die Schwester meiner Schwester sei. Lenny verprasste daraufhin seinen letzten Bonuspunkt bei mir, als er zur längsten Rede seines Aufenthalts anhob: »Ja, das dachte ich mir. Ihr seht euch sehr ähnlich. Ihr habt beide blaue Augen und blonde Haare. Aber deine Schwester hat den größeren … Mund. Dafür hast du die größere Nase.«
    Lennys letzte Stunde. Ich sah meine Schwester mit Bedauern an. Ich konnte nichts mehr für Lenny tun. Ich gab ihm die Hand und brach ihm dabei den kleinen Finger. Er sah mich erstaunt an, irgendein Urinstinkt befahl ihm, nicht zu schreien.
    Meine Mutter besann sich plötzlich darauf, irgendetwas Mütterliches zu tun, ganz egal, wer oder was ein Lenny war. Sie sprang auf, hechtete zur Tür und sagte: »Ich mach’ mal Kaffee, was?«
    Lenny sah sie an, als ob er seinen Faustkeil irgendwo verlegt hätte. Mein Vater schnaufte, nur mal so. Lenny sagte: »Gibt’s auch Kuchen? Oder Kakao?«
    Was meine Mutter dazu bewog, meine Vorstellung noch zu toppen: »Ach ja, ich bin die Waltraud. Waltraud Buddenkotte. Frau

Weitere Kostenlose Bücher