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Ich hatte sie alle

Ich hatte sie alle

Titel: Ich hatte sie alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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Buddenkotte, ja, die bin ich.«
    Sie drückte Lennys Hand, ich vernahm ein erneutes Knirschen. Dann ging sie, um weg zu sein. Mein Vater schnaufte, öffnete dabei aber die Augen. Als Leitbulle des Clans musste er wohl das Allerdämlichste sagen, damit seine Autorität nicht ins Wanken geriet: »Ich bin der Mann der Frau. Der Vater von der Tochter. Von allen Kindern hier.«
    Meine Schwester war wohl als Einzige gegen das Ich-Lenny-du-hirntot- Syndromgewappnet. Sie packte Lenny beim Schlafittchen und sprach einen guten Satz mit gutem Sinn: »Lenny und ich wollten noch woanders hin. Wir trinken dann demnächst mal Kaffee, nicht?«
    Lenny grinste und winkte, während meine Schwester ihn abtransportierte.
    Schade, meine Mutter hatte das Finale verpasst. Sie kam zurück ins Zimmer, stellte das Tablett auf den Tisch und sah meinen Vater an, mit dem Blick, wie nur Eltern ihn richtig gut draufhaben: bedeutungsschwanger, suchend, etwas leidend, aber irgendwie über den Dingen stehend. Dann bekam sie den heftigsten Lachanfall seit Menschengedenken. Mein Vater folgte ihrem Beispiel, mein Bruder giggelte grundlos mit. Ich vergaß meine mühsam antrainierte Düsternis und gackerte ebenfalls.
    Meine Mutter hielt schließlich inne und fragte sinnierend in den Raum: »Das war nicht ihr Ernst, oder?«
    Worauf mein Vater prustete: »Nee, das war ihr Lenny.«
    Meine Eltern fielen sich kreischend in die Arme und rollten unter den Kaffeetisch.
    Langsam wurde mir etwas unwohl. Was meine Eltern da vollführten, war kein Ausdruck der Heiterkeit mehr. Es war das Lachen der Verzweifelten. Nicht dass ich scharf darauf war, den oder das Lenny in unser Familienleben zu integrieren, aber von meinen Eltern hätte ich erwartet, dass sie so etwas wie Haltung oder zumindest Gleichmut zeigen würden. Im vorwurfsvollen Ton, wie man ihn nur mit vierzehn gegenüber seinenErnährern draufhat, ermahnte ich dieselben: »Was habt ihr denn erwartet? ’nen fertigen Anwalt mit Reihenhäuschen? Ihr seid solche Snobs. Snobs im Bademantel auch noch.«
    Ja, im Klugscheißen und Anprangern war ich schon immer gut. Meine Eltern besannen sich ihrer Vorbildfunktion. Sie rollten wieder unter dem Tisch hervor und sahen mich reichlich beschämt an. Meine Mutter runzelte die Stirn.
    »Tochter, ich hasse diesen rechthaberischen Ton an dir, besonders, wenn du Recht hast. Ich muss jetzt mit deinem Vater allein reden – geh dir doch die Haare färben oder so, ja?«
    Na klar, wenn Eltern mal wirklich Spannendes bereden wollen, wird man rausgeschmissen.
    Ich lauschte noch eine Weile an der Tür. Ich verstand kein Wort, aber zumindest klang ihr Raunen ziemlich schuldbewusst. Ich hatte die Badewanne erst letzte Woche mit Farbe vollgesaut, also beschloss ich, meine Schwester zu suchen. Ich musste sie davon abhalten, mit dem Lenny-Ding durchzubrennen. Sosehr sie mich auch manchmal nervte und obwohl ich unter diesen Umständen wohl auch ihren Hamster erben würde – ohne sie würde es wohl ziemlich öde hier werden.
    Ich fand sie ziemlich schnell – in der Speisekammer, wo man durch einen Luftschacht dem Gespräch unserer Eltern wesentlich besser lauschen konnte. Lenny war schon gegangen, er wollte noch an seinem Moped basteln. Sie wirkte nicht annähernd so traumatisiert, wie ich erwartet hatte. Sie lächelte mich sogar an.
    »Na, das war wohl nix, was?«, bemerkte sie nüchtern.
    Ich setzte mich neben sie.
    »Na ja«, hob ich an, »für Mama und Papa ist das halt auch … gewöhnungsbedürftig. Bist du gar nicht traurig, dass Lenny gegangen ist?«
    Ich hatte mir ein bisschen mehr Drama erhofft.
    »Och«, sagte meine Schwester, »das war eh nur so eine Art Test. Eigentlich bin ich ja in Dirk verliebt. Aber der ist schon dreiundzwanzig und hat ein richtiges Motorrad. Der ist auch tätowiert und so. Ich dachte, bevor ich den hier anschleppe, versuch ich’s erst mal mit Lenny und gucke, was passiert.«
    In diesem Moment bewunderte ich meine Schwester zutiefst. Welche Weitsicht, welche Raffinesse. Vielleicht waren wir doch Schwestern im Geiste. Wie die allerbesten Freundinnen saßen wir auf der Kühltruhe, hörten, wie sich unsere Eltern ehrlich zerknirscht gegenseitig schworen, jedem Wesen, dass ihre Töchter durch die Tür führten, mit Wohlwollen und wenigstens geheucheltem Interesse zu begegnen. Sie wollten uns mehr Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten lassen. Das hörte sich doch gut an. Meine Schwester zauberte eine Flasche Amaretto hervor und ließ mich zuerst daraus

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