Ich, Heinrich VIII.
sagte mir, ich müsse mich tatsächlich verborgen halten, aus einem Grunde, der ebenso schmeichelhaft wie beunruhigend war: Die Menschen hatten mir so sehr zugejubelt, waren so überglücklich über meine Thronfolge gewesen, dass jeder weitere öffentliche Auftritt meinerseits dem Gedenken des verstorbenen Königs und seinem Begräbnis abträglich gewesen wäre. Ich war bass erstaunt.
Will:
War Heinrich wirklich so naiv, wie er sich hier darstellt? Er berichtet, wie das Volk ihn begrüßte, gibt aber vor, darüber gestaunt zu haben, dass dies in argem Kontrast zum Gedenken seines Vaters gestanden hätte. Aber man darf seine Jugend nicht vergessen. Er war ja erst siebzehn und seiner selbst noch nicht sicher, allem Jubel zum Trotz. Wir, die wir ihn erst später kennen lernten, müssen dies berücksichtigen. Ich jedenfalls glaube ihm.
Gleichwohl muss ich gestehen, dass seine Selbstzweifel und seine Unschlüssigkeit wohl verborgen blieben. (Ein Triumph seines königlichen Willens?) Ich sah ihn an jenem Tag in London; ich stand auf der Brücke, in der großen, namenlosen Menge.
Er ritt auf einem gigantischen, mit einer prachtvollen Schabracke behängten Ross, und er kam uns vor wie ein großer, goldener Gott – breitschultrig, schön und ganz und gar gelassen. Er sah aus wie ein König, und er ritt unter das Volk mit dem Eifer eines Knaben (der er freilich noch war), unbefangen und voll natürlicher Anmut. Die Menschen liebten ihn augenblicklich, und er liebte sie wieder: Eine gegenseitige Anziehung, wie sie selten vorkommt. Sie liebten seine Schönheit, seine Kleidung, seine üppige Pracht und Farbigkeit. Jung Harry, aufgewachsen in Kälte, Düsternis und Trostlosigkeit, sollte für den Rest seines Lebens Licht, Wärme und leuchtende Farben suchen. Das spürten die Menschen. Und sie jubelten.
Heinrich VIII.:
In dieser trüben Interimszeit waren zahlreiche Einzelheiten zu besorgen, Einzelheiten, die vom Begräbnis des alten Königs bis zur Krönung des neuen reichten. Alles musste gleichzeitig geplant werden: Es musste eine Trauerprozession und eine Krönungsprozession geben, einen Trauerschmaus und ein Krönungsgelage, Trauermusik und Krönungsmusik. Dies bedeutete zwangsläufig, dass die Kuchen in den königlichen Öfen Seite an Seite backen und dass die Musiker beiderlei Musik in einem Zuge üben mussten. Während der Hof in Staatstrauer schwarz gekleidet einherging, wurde bereits für die Krönungsgewänder Maß genommen.
Was waren meine Pflichten? Wie alle anderen musste ich mir die Kleider für die Krönungsfeierlichkeiten anmessen lassen. Wie niemand sonst hatte ich aber auch andere, dringende Angelegenheiten zu erledigen. Wenn ich ein richtiger König sein wollte, musste ich die Zügel der Macht ergreifen, die Vaters Händen entglitten waren. Ich musste mit dem Geheimen Staatsrat zusammentreffen, musste lernen, wie dort verfahren wurde. Ich, der ich immer auf einen Platz in einer dunklen Ecke verwiesen worden war, wenn der Rat getagt hatte, musste nun den Vorsitz führen. Vater hatte mir einen intakten Rat hinterlassen. In gewisser Hinsicht erleichterte mir dies meine Aufgabe; in anderer aber erschwerte es sie geradezu, denn sie alle waren Vaters Gefolgsleute, und jeder war enttäuscht, weil er nicht zu meinem Protektor ernannt worden war, und überließ mir deshalb nur widerstrebend irgendwelche Macht,
Die neun Ratsherren waren allesamt gebildete Männer. Sieben waren auch ehrlich; zwei waren es nicht: Empson und Dudley, Vaters Finanzminister. Allen Abschottungsversuchen des Rates zum Trotz gelang es niederen Bediensteten der Krone doch, mir Informationen über die Skrupellosigkeit zu Ohren kommen zu lassen, mit der sie Geld einzutreiben und »dem Gesetz Geltung zu verschaffen« pflegten, und wie sie im ganzen Land verabscheut wurden, vom Adel wie von den Armen. Sie waren es, die Vaters Ruf beim Volke in den letzten Jahren seiner Regentschaft so sehr geschädigt hatten.
Ich ließ sie verhaften und von der Generalamnestie ausnehmen. Ich ließ die Schuldscheine, die sie für ihre ausbeuterischen Darlehen entgegengenommen hatten, für ungültig erklären. Sie waren Verräter, denn ihre Opfer waren »durch ungebührliche Mittel gewisser Angehöriger des Rates unseres besagten verstorbenen Herrn Vater dazu getrieben gegen alles Recht, gegen die Vernunft und ihr Gewissen, was aber Bürde und Gefahr für die Seele unseres besagten verstorbenen Herrn Vater im Gefolg führte«, wie es in meiner Proklamation
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