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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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gebracht hat.«
    Wolsey schaute mich Vergebung heischend an. »Es gab einiges, das unverzüglich zu erledigen war. Ich bedaure, aber ich habe meinem Auftrag vorweggehandelt. Man hat ihn fortgebracht, um ihm die Totenmaske abzunehmen und ihn dann auszuweiden und einzubalsamieren.«
    »Aha.« Es war widerlich. Ich sah mich um und fühlte einen starken Wunsch nach Wein. Dann wurde mir ein Becher in die Hand gedrückt, und mein Wunsch war erfüllt. Schon wieder Wolsey. Ich trank in tiefen Zügen und hoffte, dies werde das seltsame Gefühl von Trägheit und Entrückung vertreiben, das mich offenbar umfasst hielt.
    Wolsey verschwand, aber an seiner Stelle erschien ein junger, rothaariger Page. Es war Magie. Fast hätte ich gelacht. Das alles war Magie. Ich nahm noch einen Schluck Wein. Ambrosia. Ich war jetzt unsterblich, wie ein Gott. Nein, nicht unsterblich, korrigierte ich mich. Könige sterben. Doch sind sie Götter, solange sie leben …
    Ich sah mich um. Dies war nicht mehr Vaters Gemach, sondern meines. Mit etwas unsicherem Schritt ging ich auf die Tür zum Arbeitsgelass des Königs zu. Hier hatte Vater viel Zeit verbracht, hierher hatte er mich oft rufen lassen. (Der Ausdruck »Privatgemächer« war irreführend. Es gab hier nichts Privates; es war der Ort, wo alle, die dem König persönlich zu Diensten waren, zusammentrafen: Kammerherren und Kammerdiener, Türhüter, Pagen, Speisenträger, Barbiere und so fort. Über diese hinaus indessen war der Zutritt nur auserwählten Personen gestattet. So war das Gelass in Wirklichkeit die erste wirklich private Kammer in einer Reihe von Privatgemächern.) Ich stieß die Tür auf und schaute in den kahlen, spärlich eingerichteten Raum hinein, und ich dachte daran, wie oft ich hier gedemütigt worden war. Der verhasste Affe schnatterte und sprang noch immer umher; selbst jetzt durfte er sich noch frei bewegen.
    »Nimm diese Kreatur fort«, sagte ich zu dem Pagen. (Mit Bedauern notiere ich dies als meinen zweiten königlichen Befehl.) Ich streckte die Hand nach dem Tier aus, packte es am Schlafitt und drückte es dem Jungen in die Arme. »Schafft ihn weg. Mir ist es gleich, wohin.«
    Der Junge nahm das Tier in die Arme und trug es hinaus. Wie einfach das ging! Ich staunte. Etwas, das ich jahrelang hatte ertragen müssen, war plötzlich fort, hinweggefegt mit einem Wort und einer Geste. Ich lachte entzückt. Dann schaute ich mich im Zimmer um und plante weitere Veränderungen. Es war kalt? Man würde ein Feuer anzünden. War der Schreibtisch alt und fehlten ihm Schubladen? Ein neuer aus Italien würde gebracht werden, mit seltenen Hölzern eingelegt. Es war überhaupt ein altmodischer Raum? Zimmerleute würden ihn neu täfeln, Bildhauer ihn neu verzieren und Maler ihn vergolden.
    Von hier aus ging ich weiter in die Schlafkammer – das erste ganz und gar private königliche Gemach, zu dem sogar mir der Zutritt verwehrt gewesen war: der Raum, in den der König sich zur Nachtruhe zurückgezogen hatte. Viele Monate hatte Vater hier nicht mehr geschlafen, aber sein großes Bett (elf Fuß an jeder Seite) kauerte noch immer breit in der Mitte der Kammer, einem normannischen Turmbau gleich. Langsam ging ich herum. Die Bettvorhänge waren mottenzerfressen und schäbig. Ich hob die Hand und schlug leicht gegen eine Falte, und eine mächtige Staubwolke erhob sich, dass ich fast erstickte. Und da – ich weiß nicht, was über mich kam – begann ich, wie von Sinnen auf die Vorhänge einzuprügeln und zu schlagen und einen Staubsturm zu entfesseln. Und ich war den Tränen nahe … warum, das weiß ich nicht.
    Tränen und Staub vertrieben mich von dem Bett, und da fiel mein Blick auf Vaters private Gebetsnische. Ich ließ mich auf seine Kniebank sinken und bemühte mich, den Blick auf das Kruzifix zu heften, aber immer wieder kehrten meine Augen zu dem Gemälde der Jungfrau Maria zurück, die meiner Mutter so ähnlich war. Ich betete, dass ich ein guter König werden und dieses Amtes würdig sein möge. Worum noch? Ich fürchte, es war ein Hilferuf, ein Entsetzensschrei, was da meiner Seele entstieg. Aber ich vertraute darauf, dass Gott mich hören würde …
    Blindlings wandte ich mich ab und fiel quer über das Bett. Die Anstrengung, der Tag, Wolseys Wein – dies alles gewann die Oberhand. Ich versank in tiefen Schlummer.
    Und erwachte irgendwann in furchtbarer, leerer Mitternacht. Ich wusste es; nicht der Ausrufer oder das Schlagen der Uhr verriet es mir, sondern ein Gefühl tief in

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