Ich, Heinrich VIII.
keinem Lande, an keinem Hofe gab es etwas nur annähernd Vergleichbares. Die Franzosen (angeblich führend in solchen Dingen) hatten ein Orchester, das ein grässlicher Abklatsch davon war; die Musikanten hielten den Takt nicht, die Sänger wussten keinen Ton zu treffen, und der »Musikmeister« konnte nicht einmal Noten lesen und war überdies chronisch betrunken – zumeist während der Aufführungen.
Heinrich VIII.:
Es gab andere, geringfügigere Aufgaben, etwa die Reinigung und Neugestaltung der königlichen Gemächer nach meinem eigenen Geschmack. Ich bestellte Teppiche aus der Türkei, Glas aus Venedig, Marmor und Intarsientische aus Italien und Email aus Frankreich. (Dies trotz der Tatsache, dass die Ungläubigen beständig im Krieg mit allen Staaten der Christenheit lagen, dass Venedig belagert wurde und die Franzosen uns feindlich gesonnen waren. Es ist sonderbar, dass Kaufleute niemals in den Krieg ziehen, aber er stört sie nur insofern, als er ihre Handelsstraßen unsicher macht.) Vaters roh gezimmertes Mobiliar und die Reisigfußböden würden verschwinden, sobald Kamele und Schiffe Ersatz herbeigeschafft hätten.
Der Audienzsaal vor allem erforderte viel Arbeit. Wollt Ihr König sein, benehmt Euch wie ein König, hatte Farr gesagt. Ich wusste jetzt, dass dazu die entsprechende Ausstaffierung unentbehrlich war. Ein Audienzsaal sollte den Betrachter blenden, und es nützt nichts, sich selbst gar prächtig zu gewanden, wenn der Baldachin über dem Kopf fadenscheinig oder von Motten zerfressen ist.
Will:
Wenn er es mit Bedacht darauf anlegte, den Betrachter zu überwältigen, so gelang es ihm. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich ihn das erste Mal in vollem Staat unter seinem Prunkbaldachin zu sehen bekam. Es war, als sei er überhaupt kein irdischer Mensch, sondern ein völlig anderes Wesen. Und so muss es bei einem König auch sein.
Wir beide vergessen, dass König ein Beruf ist, genau wie Tischler oder Pflasterer oder Rechtsgelehrter. Die amtliche Auffassung ist mir bekannt: Könige sind anders, sie entstammen einer gottgewählten Rasse. Aber Harrys Urgroßvater war Gewandmeister. Woher kam das königliche Blut in ihm? Zu welchem wundersamen Zeitpunkt erschien es plötzlich? Nein, Catherine (da Ihr in religiösen Fragen radikal seid, seid Ihr es vielleicht auch in anderen Dingen?), es erschien in seinen Nachkommen erst, als sie Könige sein mussten. »Wollt Ihr König sein, benehmt Euch wie ein König.« Das ist einfach, aber so einfach nun auch wieder nicht. Die Wahrheit ist, dass nur wenige Menschen sich überzeugend benehmen können wie ein König, so sehr sie sich auch bemühen. Harry konnte es; er war ein Genie, ein Meister darin, die Fantasie und die Loyalität anderer gefangen zu nehmen und zu behalten. Von Anfang an ahnte er, welche Macht im äußerlichen Eindruck lag, und er sparte keine Mühe, wenn es darum ging, seinen größten Trumpf auszuspielen: sein blendendes Aussehen. Erinnert Ihr Euch an jenen geistreichen venezianischen Botschafter, Giustinian? Vier Jahre lang war er an Heinrichs Hof, und dann schrieb er ein Buch mit dem durchaus angemessenen Titel »Vier Jahre am Hofe Heinrichs VIII .«. Er erinnert sich an eine von Heinrichs »Audienzen«:
»Seine Finger waren eine Anhäufung von juwelenbesetzten Ringen, und um den Hals trug er ein goldenes Geschmeide, an dem ein Diamant von der Größe einer Walnuss hing. Er empfing die venezianischen Gesandten unter einem Baldachin aus Goldbrokat, gekleidet in ein Wams aus weißem und karmesinrotem Satin und einen purpurnen Samtmantel, der innen mit weißem Satin ausgeschlagen war.«
König zu sein, heißt, ungewöhnlich, außergewöhnlich zu sein: Weil wir es so haben wollen; wir verlangen es, wie wir von unseren Tischlern verlangen, dass sie leichtgängige Schubladen bauen. Manches in Harrys Verhalten bleibt unverständlich, wenn man es beurteilt, wie man das Verhalten eines gewöhnlichen Menschen beurteilt. Bei einem König erscheint es in einem anderen Licht. Und umso mehr bei jemandem,
der bewusst versucht, ein idealer König zu sein, ein unübertrefflicher König.
Und es darf da kein Schwanken geben, keine Halbherzigkeiten. König muss man in jedem Augenblick sein, auf dem Abtritt wie in der Staatsaudienz. Es gibt keine Ausnahme; die Maske der Royalität muss den gewöhnlichen Menschen nach und nach durchdringen, wie Zuckersirup den natürlichen Geschmack kandierter Früchte und Blüten ersetzt. Äußerlich scheint alles beim
Weitere Kostenlose Bücher