Ich, Heinrich VIII.
des Morgens kamen Arbeiter in die Kapelle, um den geborstenen Sarg neu zu verlöten. Der Hund war noch da; er kauerte noch immer unter dem Wagen. Die Klempner und Löter hatten Mühe, ihn zu vertreiben, aber indem sie mit glühenden Eisen nach ihm stießen, gelang es ihnen doch, ihn zum Verlassen seiner Höhle unter dem Behang des Leichenwagens zu bewegen. Als er einmal hervorgekommen war, sprang er davon und schien plötzlich zu verschwinden. Jedenfalls benutzte er keine der Kirchtüren, um zu entfliehen.
Als die Handwerker unter den Wagen spähten, sahen sie, dass sein Boden wie auch der Sarg darüber gesprungen war. Eine Flüssigkeit, dick und ekelhaft, quoll hervor und tropfte langsam auf den Boden. Sie hielten es aber nicht für Blut, sondern für Leichenwasser, vermischt mit Einbalsamierungsflüssigkeit und Spezereien. Durch das Holpern und Rütteln des Leichenwagens hatten sich die Wickelverbände gelöst, und so war es zu dieser gräulichen Episode gekommen. Die Männer beeilten sich, den Schaden zu beheben und den Sarg im Licht des Tages an seinen endgültigen Ruheplatz zu bringen.
Um zehn Uhr vormittags war der Leichenzug wieder unterwegs; zurück blieben die besudelten Steine in der Kapelle von Syon.
Das Gedränge nahm zu; immer mehr Menschen säumten die Straße, als wir uns Windsor näherten. Aber den hässlichen Geschmack von Syon konnte ich einfach nicht hinter mir lassen, und auch nicht Catherines Bosheit und die Einsicht in die Unvergänglichkeit vergangener Taten. Nichts vergeht jemals, so scheint es; die Vergangenheit lässt sich nicht säubern wie ein Steinboden. Nur das Gute verschwindet. Ich habe an den Rosensträußen vom letzten Sommer gerochen: Ihr Duft ist schal und matt. Das Gute verfliegt. Aber das Böse bleibt und pflanzt sich fort.
Die Bestattung in Windsor war eine lange, aber einfache Zeremonie, fast genauso wie bei Charles Brandon achtzehn Monate zuvor. Bischof Gardiner, der katholischste unter Heinrichs Prälaten, zelebrierte die Grabmesse. Eine Lobrede wurde nicht gehalten. Heinrichs Freunde waren alle tot, bis auf mich, und mich lud niemand ein, zu sprechen. Dazu reichte mein Rang nicht aus.
Der Sarg wurde vom Leichenwagen gehoben und zu der klaffenden Grube getragen; dort ließ man ihn mithilfe eines Flaschenzugs und sechzehn stämmiger Gardesoldaten hinab. Es dauerte lange, bis er unten war; Stunden schienen zu vergehen, bis von unten ein dumpfer Stoß heraufhallte und die Gardesoldaten ihre Seile losließen.
Dann las Gardiner die Messe, umgeben von den führenden Persönlichkeiten des königlichen Haushalts, dem Lord Kämmerer, dem Lord Schatzkanzler, dem Lord Revisor, dem Befehlshaber der Garde und vier Zeremonienmeistern, alle mit Stäben und Stöcken in den Händen. Er predigte über das Wort: »Selig sind die Toten, die im Herrn gestorben.«
Das große Totenbildnis des Königs, das so sorgfältig bekleidet, so wundervoll geformt worden war, dass Zuschauer geglaubt hatten, er sei noch am Leben und fahre fröhlich auf dem Dach seines Leichenwagens dahin, wurde nun entblößt und dann in das gähnende Grab hinabgelassen.
»Pulvis pulvi, cinis cineri«, sagte Gardiner. Staub zu Staub, Asche zu Asche. Die Bediensteten aus Heinrichs Haushalt traten vor, zerbrachen eigenhändig ihre Stäbe und warfen die Splitter in das Loch. Nach wenigen Augenblicken trafen sie unten auf; die Kluft zwischen den Lebenden und den Toten war noch nicht sehr groß. Brandons Turnierhelm, der hoch oben auf einer Steinsäule aufbewahrt stand, blickte auf das Geschehen herunter und grinste.
»De Profundis«, sang Gardiner. »Aus der Tiefe rufe ich zu Dir.«
Dann trugen Helfer geölte Planken herbei und legten sie über das Grabloch; ein anderer brachte einen dicken türkischen Teppich und breitete ihn auf den Planken aus. So entstand ein hübscher, ordentlicher Fußboden über einem offenen Loch, in dem der Sarg eines Königs stand.
Gardiner stellte sich auf diesen behelfsmäßigen Boden, geleitet von seinen geistlichen Dienern, und verkündete des jungen Edwards Titel.
»König Edward der Sechste, durch die Gnade Gottes König von England, Irland, Wales und Frankreich, Verteidiger des Glaubens.«
Sodann wiederholten seine Kirchenmänner und die ganze Trauergemeinde diese Titel dreimal.
Ich würde gern sagen, dass keine Begeisterung in den Worten lag. Dass alles wie mechanisch geschah, durch Menschen, die dumpf die Regeln anderer Menschen befolgten. Aber die Wahrheit ist, was Heinrich selbst
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