Ich, Heinrich VIII.
sagte: »Es ist immer Magie im Spiel, wenn ein König gemacht wird.« Und als Edwards Name verlesen wurde und uns alle ein Schauer überlief, da wusste ich, ob es mir gefiel oder nicht, England hatte einen neuen König.
Die Fanfaren erklangen, melodisch und mutig – und plötzlich war es Edward, Edward, nur noch Edward – und nichts war mehr da von Heinrich.
Der König ist tot; lang lebe der König.
Epilog
N ur wenige trauerten ehrlich um den König. Ich meine solche, die sich traurig, schwach, ratlos und abgeneigt gegen alle Alltagstätigkeit fühlten. Ich war einer davon. (Selbst Kate, die »trauernde« Königinwitwe, war ganz damit beschäftigt, Tom Seymours Werben abzuwehren.) Ich merkte, dass ich viel betete und ziellos in meinen Gemächern umherwanderte. Ich wusste, ich würde den Hof bald verlassen müssen, und doch waren mir die Hände so schwer, dass ich sie kaum dazu bringen konnte, zu tun, was sie freilich tun mussten – meine Habseligkeiten packen und meiner Schwester mitteilen, dass ich sie besuchen würde, bis ich einen Wohnsitz für die Dauer gefunden hätte. Das Einpacken war ein schwieriges Unterfangen.
Ich hatte Mühe, mich zu erinnern, was mir gehörte und was nicht. Manches hatte ich seit Jahren nicht mehr benutzt, und es gehörte doch mir; ich kannte es. Bei anderen Dingen war die Eigentumsfrage weniger eindeutig zu beantworten. Aber als ich sorgsam alles einsammelte, wurde mir bewusst, dass ich von meinem König nichts besaß. Nach Land oder Titeln hatte ich nicht gestrebt, noch hatte mein Leben mir Gold oder Edelsteine oder ein verständnisvolles Heim eingebracht. Aber nun hatte ich gar nichts, was ich hätte anrühren, wovon ich hätte sagen können: »Das gehörte ihm«, oder: »Dies besaßen wir gemeinsam.«
Darüber war ich so traurig, dass ich mich gar nicht zu lassen wusste, und so einsam, dass ich Hal eines Abends anbrüllte.
»Du hast mir nichts von dir hinterlassen! Ich brauche etwas zum Anfassen, wie ein liebendes altes Weib! Und es ist nichts da. Die Geier haben alles weggenommen, um ›Inventur‹ zu machen. Sogar deine Taschentücher sind weg!«
Und doch, und doch – hatte man nicht die Erinnerung in seinem Kopf ganz allein für sich, immerdar? Was nutzte einem ein Gegenstand?
Es war zwei Wochen nach des Königs Begräbnis, und ich hatte nur noch einen Tag Zeit, die königlichen Gemächer zu Whitehall zu räumen. Ich hatte meine Sachen gepackt; meine Bündel waren gewickelt und verschnürt und mit einem Leintuch umhüllt. Es war ein wunderlich sperriges, klobiges Gepäck – die Gerätschaften eines unorganisierten Lebens. Morgen würde man es fortschaffen; meine Schwester hatte gesagt, ich könne in ihrem Hause in Kent unterkommen.
Meine letzte Nacht in königlichen Gemächern. Ich hätte etwas fühlen, hätte in der Lage sein müssen, irgendeine Essenz all dieser Jahre zu destillieren. Aber ich fühlte mich eher unbehaglich und unerwünscht als nostalgisch. Ich brannte jetzt darauf, aufzubrechen, dieses Haus des Todes und der Vergangenheit zu verlassen.
Zum vierzigsten Mal ging ich um meine Bündel herum, prüfte die Knoten. Es war alles gepackt. Alles … und was hatte ich da vergessen? Müde bückte ich mich, um zu sehen, was mir da noch eingefallen war, was ich da noch hingestellt hatte. In alle Ewigkeit würden mir noch Sachen »einfallen«. Jetzt musste ich wieder Platz finden für dieses Ding, für diese …
König Heinrichs kleine Harfe. Die, mit der er komponiert hatte. Sie war nicht hier gewesen. Ob sie jemand gebracht hatte? Aber es hatte niemand Zugang zu meiner Kammer. Und schon gar nicht innerhalb der vergangenen halben Stunde, seit ich das letzte Mal um die Bündel herumgegangen war und die Knoten geprüft hatte.
Aber da stand sie, an meine Habe gelehnt, angeschmiegt.
Also kann auch die Liebe überleben. Oder etwas, das ihr nahe kommt. Anteilnahme und Güte.
In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen; wäre es nicht so, hätte ich es euch gesagt.
Es muss ein sehr großes Haus sein, wenn alles dies darin einen Platz hat.
Über die Autorin
M argaret George wurde in Nashville, Tennessee, geboren und ist seit Kindertagen von fremden Kulturen fasziniert. Wenn ihre Recherchen sie nicht gerade in andere Länder führen, lebt sie in Madison, Wisconsin. Mit ICH , HEINRICH VIII . erzielte sie ihren Durchbruch als Autorin. Bei Bastei Lübbe erschienen auch ihre facettenreichen Romanbiographien MARIA STUART , KLEOPATRA und MARIA MAGDALENA .
Weitere Kostenlose Bücher