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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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auch kannte, das Tagebuch zeigte mir doch auch einen unbekannten Heinrich –
was vermutlich nur beweist, dass wir allesamt Fremde sind, sogar für uns selbst.
    Aber ich wollte erklären, wie ich in den Besitz des Tagebuches gelangt bin. Die Antwort ist einfach: Ich habe es gestohlen. Sie hätten es vernichtet. Sie haben auch sonst alles vernichtet, wenn es nur entfernt mit dem König zu tun hatte oder mit den alten Zeiten: erst die Reformatoren, nun die Papisten. Die Reformatoren zerschlugen die Scheiben in sämtlichen Kirchen, und die Papisten gehen, wie ich höre, in ihrer Bestialität noch einen Schritt weiter, sodass selbst ich zögere, es niederzuschreiben. Die Agenten der Königin haben Harrys Leichnam – ihren eigenen Vater! –
aus dem Grab genommen, verbrannt und in die Themse geworfen! Oh, diese Ungeheuer!
    Dieses Tagebuch ist daher das Letzte, was auf Erden von ihm übrig ist. Werdet Ihr eine ebenso unnatürliche Tochter sein wie die Königin und es auch noch verbrennen? Wenn Ihr seine Tochter nicht seid (wie Ihr behauptet), dann seid ihm ein besseres Kind als sein eigen Fleisch und Blut.
    Wie humorlos dies doch ist. Humor ist ja in der Tat das Zivilisierteste, was wir haben. Er glättet alle scharfen Kanten und macht den Rest erträglich. Harry wusste das. Vielleicht sollte ich selber einen Narren einstellen, denn offensichtlich habe ich selber meinen Beruf hinter mir gelassen.
    Der Segen Eures rätselhaften Gottes sei mit Euch.
    Will
    Beigefügt ist das Tagebuch.
    Zu einer Anmerkung fühle ich mich genötigt: Bessie Blount war keine Hure.

Das Tagebuch

I
    G estern fragte mich irgendein Narr, was meine erste Erinnerung sei, und erwartete, dass ich beglückt in irgendwelche sentimentalen Kindheitsanekdoten verfiele, wie es wunderliche alte Männer angeblich so gern tun. Er war ganz überrascht, als ich ihn hinauswarf.
    Aber der Schaden war angerichtet, und aus meinem Kopf war dieser Einfall nicht so leicht hinauszuwerfen. Was war meine früheste Erinnerung? Was immer es war, sie war nicht angenehm. Dessen war ich sicher.
    War ich sechs Jahre alt? Nein, ich erinnere mich an die Geburt meiner Schwester Maria, und da war ich fünf. Vier also? Da starb meine andere Schwester, Elisabeth, und daran, schrecklich genug, erinnere ich mich auch. Drei? Vielleicht. Ja. Ich war drei, als ich zum ersten Mal Jubelrufe hörte –
und die Worte »nur ein zweitgeborener Sohn«.
    Der Tag war schön – ein heißer, stiller Sommertag. Ich sollte mich mit Vater zur Westminster Hall begeben, um dort Ehren und Titel entgegenzunehmen. Er hatte das Ritual mit mir geprobt, bis ich es vollkommen beherrschte: Ich wusste, wie ich mich zu verneigen, wann ich mich auf den Boden zu werfen und wie ich vor ihm rückwärts den Raum zu verlassen hatte. Das musste ich tun, weil er König war und weil ich mich in seiner Gegenwart befinden würde.
    »Man wendet einem König niemals den Rücken zu«, erklärte er.
    »Auch wenn du mein Vater bist?«
    »Auch dann«, antwortete er ernst. »Ich bin immer noch dein König. Und ich mache dich heute zum Ritter des Bath-Ordens, und du musst gekleidet sein wie ein Einsiedler. Und dann kommst du noch einmal in die Halle, in Festgewändern diesmal, und wirst Herzog von York.« Er lachte sein trockenes kleines Lachen – wie das Rascheln von Blättern, die über einen gepflasterten Hof wehten. »Das wird sie zum Schweigen bringen und ihnen zeigen, dass die Tudors sich York einverleibt haben! Der einzig wahre Herzog von York wird mein Sohn sein. Sollen es nur alle sehen!« Plötzlich senkte er die Stimme und sprach leise weiter. »Du wirst vor dem gesamten Adel des Reiches stehen. Du darfst nichts falsch machen, und du darfst auch keine Angst haben.«
    Ich sah in seine kalten grauen Augen. Sie hatten die Farbe des Novemberhimmels. »Ich habe keine Angst«, sagte ich, und ich wusste, ich sprach die Wahrheit.
    Scharen von Menschen kamen, um uns zu sehen, als wir durch Cheapside nach Westminster ritten. Ich hatte mein eigenes Pony, ein weißes, und ich ritt gleich hinter Vater mit seinem großen, schabrackenverhängten Fuchs. Selbst zu Pferde war ich kaum größer als die Wand von Menschen zu beiden Seiten. Deutlich konnte ich einzelne Gesichter sehen, ihre Mienen erkennen. Sie waren glücklich und riefen uns immer wieder ihren Segen zu, als wir vorüberzogen.
    Die Zeremonie machte mir Spaß. Es heißt, dass Kinder für Zeremonien nichts übrig haben, aber mir machte sie Spaß. (Eine Vorliebe, die ich bis

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