Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut
lässig in die Halsbeuge geklemmt und nickte hin und wieder. Wir anderen saßen beim Abendbrot und angelten uns gegenseitig die Ofenkäsefäden weg. «Oma!», verkündete ich souverän, denn ich könnte mit der Nummer «Dieser Mann behauptet, an der Telefonhaltung einer beliebigen Person zu erkennen, ob seine Mutter dran ist!» bei internationalen Zaubershows auftreten. «Mach dir keine Sorgen», sagte meine Frau zum Telefonhörer. «Is’ Oma!», bestätigte der Kronsohn, der mir mit der Nummer «Dieser Junge behauptet, an den Antworten einer beliebigen Person am Telefon usw.» dabei Konkurrenz machen könnte. «Deine Mutter!», sagte meine Frau erwartungsgemäß und gab mir den Hörer.
«Ich mache mir solche Sorgen, Junge!», sagte meine Mutter. Ich entstamme einer alten Sorgenmacherfamilie, in der Optimismus als eine geduldete Form des Hirnschadens angesehen wird und man selbst nur als normal entwickelt gilt, wenn man sich wenigstens einmal am Tag bang die Frage stellt, wohin das alles führen soll, wenn jetzt auch noch die Leute in Asien Autos fahren wollen und die Tierarten alle aussterben und dauernd Krieg ist, und ob der Stromausfall in weiten Teilen Europas nur ein Vorbote von was noch viel, viel Schlimmerem ist.
Diesmal aber war die Sorge meiner Mutter konkret. «Dein Vater will wegen einem Termin nach Berlin! Mit dem Zug! Allein!» Da ich bis dahin noch keinen Laut desEntsetzens geäußert hatte, seufzte meine Mutter, so tief sie konnte, und fügte an: «Und ohne Hosenträger!» Mein Vater weigert sich seit Jahren in einer an religiösen Fanatismus grenzenden, ästhetischen Einzelentscheidung, Hosenträger anzulegen, was dazu führt, dass ihm die Hosen bequemer hängen als bei extrem entspannten Rollbrettfahrern und Betäubungsmittelinhalierern. Meine Mutter hatte recht, wenn sie sich sorgte, dass ihm seine Hose beim Hasten nach dem Anschlusszug ganz herunterrutschen könne und er gezwungen sein würde, nur noch im Trippelschritt russischer Folkloretänzerinnen über den Bahnsteig zu driften. «Nimmt er halt den nächsten Zug. Muss er sich mal an den Servicepoint wenden!», kehrte ich den polyglotten Vielfahrer heraus.
«Er fragt doch nie nach dem Weg.» Das stimmt. Mein Vater ist berühmt dafür, ohne zu fragen, irgendwo reinzugehen, um zu gucken, ob er richtig ist, und es würde mich absolut nicht wundern, wenn ich in der «Tagesschau» beim Weltpressetermin des deutsch-russischen Gipfeltreffens plötzlich einen mir gut bekannten Rentner mit Beutel, rutschender Kordhose und einer zu kleinen Mütze zwischen Frau Merkel und Herrn Putin auftauchen sehen würde, der sich umschaut, den Kopf schüttelt und mit einem gebrummelten «Hier ist es auch nicht» wieder hinter den Nationalflaggen verschwindet. Natürlich nicht, ohne eine der Fahnen umzureißen, sie notdürftig wieder hinzustellen und dabei zu schnaufen: «So bringt man das ja auch nicht an!»
Nachdem wir noch eine Weile das Ausgeraubtwerden, das Stürzen in die Zug-Gleis-Spalte und das ungewollte Mitreisen auf einer unglücklich verriegelten Zugtoilette des Transsibirien-Expresses erörtert hatten, entschieden wir, schon einen Tag vor der Reise meines Vaters eine Vermisstenanzeige aufzugeben.
Ausgezwinkert
«Halleluja», entfuhr es mir, als ich den Preis hörte, doch weil ich mich der Pensionsbesitzerin nicht als jemand zu erkennen geben wollte, dessen Gefühlsbewegungen einzig von Geldbewegungen ausgelöst werden, schob ich noch ein salbungsvolles «Gelobt sei Jesus Christus, der unserer lieben Katze zwei wunderschöne Wochen in Ihrem Heim bescherte» nach. Dann nahm ich die verlangten hundert Euro und strich sie der Katzenmutter in die feisten Finger, die etwas unsensibel «Jaja, wenn man denen ab und zu ein paar überbrät, dann spuren sie wieder» dazu schnaufte. «Für den Preis hätten wir drei neue Katzen nach dem Urlaub bekommen», sagte ich zu meiner Frau im Auto, die verliebt mit dem schwarzen Feger um die Wette schnurrte. «Und zwar mit Impfpass!»
Da meine Frau lieber schweigt, wenn sie nicht meiner Meinung ist (ein Grund, warum es bei uns daheim immer so ruhig ist), setzte ich noch ein provozierendes «Aber in puncto Viehzeug bist du wie dein Vater, der kommt ja auch beim Spaziergang vor lauter Tierestreicheln nicht in die Höhe!» hinterher. Ein strenger Seitenblick mit Räuspern erreichte mich, der ich selbst unlängst einen Waffenstillstand für Elternvergleiche erwirkt hatte. Zu Recht, denn meiner Frau zufolge sehe ich mit über
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