Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut
überlegte einen Augenblick, ob ich vorher das zum Lüften geöffnete Fenster hätte schließen sollen, denn die Rolf-Zuckowski-CD lag eindeutig in Richtung Zugluft. Aber der Dinkelkeksin nachzuweisen, dass sie eine unbewusste Präferenz für Dinge in Windrichtung hegte, schien mir zu wissenschaftlich für den späten Abend.
Rolf und seine Freunde (die Anfügung «und Freunde» scheint mir in dem Bewusstsein gewählt worden zu sein, dass die Zahl seiner Feinde erheblich, wenn nicht sogar noch größer ist, und dient vermutlich ganz durchsichtigen Abschreckungszwecken) kinderfreundelten also los, und ich ging mit der Dinkelkeksin in die Küche, um sie noch eine Zichte durchziehen zu lassen. Mutter Dinkelkeks kramte ihren urgesunden Indianertabak hervor, schüttete ein paar Krümchen ins Papier, drehte es und leckte mit flinker Zunge die Klebekante entlang, etwas, was ich eingestandenermaßen so gerne betrachte, dass ich mal mit meinem Therapeuten drüber reden muss. (Die Liste mit meinen Vorlieben wird immer länger. Möglicherweise ist am Ende meines Lebens einfach alles erotisch besetzt.)
«Und sonst?», wollte sich gerade die Dinkelkeksin nach dem Fortgang der Dinge erkundigen, als ein Schreien, Trampeln und Rumpeln aus dem Zimmer der Trollprinzessin drang. Bei unserem Erscheinen zerrte dieTrollprinzessin gerade Hannes Dinkelkeks an den Haaren durchs Zimmer, während dieser nach ihr trat und spuckte. «Aus!», bellte ich meine Tochter zornig an (in Krisensituationen wandert der Kern meiner erzieherischen Willensbildung ins Stammhirn, wo es dann leider etwas reflexartig und tierdressurmäßig zugeht) und fügte, weil Mutter Dinkelkeks mich so entsetzt anguckte, noch ein humaneres «Aus … einander!» an.
Es bewirkte, dass sich die Kontrahenten zwar trennten, aber desto heftiger flennten. In all dem Schluchz stellte sich heraus, dass Hannes Dinkelkeks auf der Lieblingspuppe der Trollprinzessin herumgetrampelt hatte, nachdem die Trollprinzessin sich erst das amelodiöse Mitgrölen des Knaben verbeten und schließlich wegen Nichtbefolgung das Gerät abrupt ausgeschaltet und sein Wiedereinschalten sogar mit Körpereinsatz verhindert hatte. Wie auch immer. Das Gesicht der Puppe war eingedrückt und ging jetzt physiognomisch mehr in Richtung Uschi Glas. Das war intolerabel. «Sag mal, was war denn das jetzt?», herrschte ich Hannes Dinkelkeks an. «Es gibt ja wohl noch andere Möglichkeiten, sich auseinanderzusetzen, außer Puppenzertrampeln?» «Ja, ich hätte auch all ihre Bücher zerreißen können!», schnaubte der kleine Dinkelkeks. Mutter Dinkelkeks stieß mich kurz an, um mir zu bedeuten, dass nunmehr eine tiefer gehende Intervention angezeigt sei. «So. Passt mal auf, was wir jetzt machen. Wir setzen uns alle auf diese kleinen Stühle hier, und dann sagt jeder mal, was er jetzt gefühlt hat.» Die Dinkelkeksin drückte ihren Sohn in den Sitz, drehte sich zu mir um und machte eine unmissverständlich anweisende Kopfbewegung zu einem der neongrünen Ikea-Plastikstühle. «Es ist 22 Uhr durch. Ich weiß nicht», erwiderte ich, aber tat, wiemir geheißen. Mit beachtlicher Restwut plumpste sich schließlich auch die Trollprinzessin hin.
«Ich fange mal mit dir an, weil du ja schon etwas älter bist», sprach Mutter Dinkelkeks die Trollprinzessin so gütig an, als hätte sie die Nebennieren von Mutter Teresa implantiert bekommen. «Kannst du dir vorstellen, wie sich Klein Hannes gefühlt hat?»
Die Trollprinzessin versuchte ohne größere Anstrengung, sich in den sechsjährigen Johannes Adalbert Dinkelkeks einzufühlen, aber es klappte nicht. Sie zuckte mit den Schultern. Damit hatte Mutter Dinkelkeks in weiser Voraussicht gerechnet. Sie wandte sich dem eigenen Spross zu.
«Was hast du denn gefühlt, als die Trollprinzessin dich erst bat, mit dem Mitsingen aufzuhören, und dann auf den Ausknopf drückte und sich über das Gerät warf, damit du es nicht wieder einschalten konntest?»
Die Frage war wahrscheinlich etwas zu umfangreich. Klein Hannes guckte finster.
«Nix.»
«Siehst du, Hannes hat nichts gefühlt», ließ sich die Dinkelkeksin nicht irritieren. «Er war unfähig, etwas zu fühlen. Er war innen wie tot. Und warum? Weil er sich abschotten, ganz hart machen musste gegen all die schlechten Gefühle, die auf ihn einströmten. War es nicht so, Hannes?»
«Mmmh. Na ja …» Hannes Dinkelkeks versuchte, ein Gesicht zu machen, in dem Zustimmung, Ablehnung und der Wunsch, endlich pullern gehen zu
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