Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut
höfliche Wendung «Legen Sie doch ab!» muss einen pubertären Ursprung haben, denn niemand sonst legt seine Sachen nach dem Eintreten sofort irgendwoauf den Boden, es sei denn, er ist vierzehn, männlich, müde.
Tja, bis genau hierhin hatte ich durchgehalten, der junggebliebene Vater, dem Kind ein bloß etwas älterer Freund, boxte und knuffte ihn, glotzte tapfer gemeinsam schon im Titel auserzählte Drachenreiterkinoschinken und grölte sogar noch die «Ärzte» mit, aber dann verwandelte mein Sohn die Wohnung in eine rumänische Waisenhaus-Wäschekammer, über der in fetten Lettern die unheimliche Botschaft geschrieben stand: «So, versuch doch das mal zu tolerieren, wenn du partout kein Spießer sein willst!» Ich habe mich dann in einem quälenden Prozess für das Heim als Bereich vorbildlicher Ordnung und Sicherheit entschieden, und seither ist bei uns das altersübliche «Sauhaufen»-Gezeter an der Tagesordnung, oder ich räume das Zeug seufzend weg. (Mittlerweile hat sich das Wegräumen automatisiert. Ich bin erst kürzlich von der Bühne gezerrt worden, als ich mitten in einer Striptease-Show die fortgeschleuderten Dessous zusammenlegen wollte.)
Im Kaufhaus steht der Schlaks abgeknickt vorm Spiegel, während ich ihn mit Steppjacken und Pullovern behänge. «Schwul. Schwul. Oberschwul. Das sieht alles total schwul aus, Papa!», nölt das Kind in ungelenkem Schulhofjargon. Ein provisionsversessener Verkäufer eilt herbei, um fragen zu wollen und helfen zu können. «Ja, wir suchen Oberbekleidung für einen Vierzehnjährigen mit eineindeutig heterosexueller Ausstrahlung.» «Da bin ich mir jetzt nicht so sicher, ob wir da …», grübelt der Mann. «Ich nehm den», spricht mich der Stammhalter plötzlich männlich entschlossen an und gibt mir einen von etwas weiter her geholten Pullover mit der quietschgelben Pokemon-Figur Pikachu vorne drauf. «Ach, so was!», nickt derVerkäufer beflissen. «Ja, so was!», entgegne ich, glücklich, das Kleiderleiden für ein Quartal beendet zu haben, und bemerke knapp: «Oder in welche Richtung entwickeln sich bei Ihnen die Pokemons?»
Einladung zum Männerballett
Auch in Deutschland liegen terrormäßig die Nerven blank. So viel steht fest. Und obwohl es beim Einparken in der Stadt immer wieder ein erhebendes Gefühl war, Polizisten reflexartig hinter Passanten in Deckung gehen zu sehen oder Bodyguards, die sich vor russisch-rotkandierte-weißblondierte Pelzmäntelaljonuschkas werfen, beschloss ich eines Tages, die explosionsartigen Nachverpuffungen meines Autos abstellen zu lassen. Da meine vielköpfige Sippe die Gewerbestruktur der Bundesrepublik im Kleinen nachbildet, ging ich zu meinem Autoschraubercousin. «Beeil dich, er ist ziemlich fertig und wird gleich abgeholt», sagte seine Frau, und ich stieg ins Dachgeschoss, wo ich ihn fand. Im Tutu und in Feinstrumpfhosen.
Jetzt, da ich seine Frau zu verstehen meinte, sprach ich in ruhigem Ton: «Gehste einfach mal mit dem Doktor mit, und dann sollste mal sehen …» Mein sehr behaarter Autoschraubercousin zog sich die Feinstrumpfhose hoch und antwortete bloß: «Warum machst du eigentlich nicht mit in unserem Männerballett?»
Mein Verhältnis zum Fasching als ungezwungen zu bezeichnen, würden nicht mal meine Feinde wagen. Deswegen dazu erst mal Folgendes: Ich habe meine persönliche Wertschätzung von Bekannten und Verwandten nie davon abhängig gemacht, ob sie Mitglieder von Faschings-Männerballett-Ensembles waren oder nicht. Diese bemüht tolerante Position verdankt sich allerdings nur demWunsch, nicht völlig isoliert zu sein. Saisonbedingt schwanenseetanzende Männerbünde haben heuer einen Zulauf, dass man glauben könnte, den Damen sei das Tragen von Strumpfhosen nur erlaubt, um Produktionsausfälle in der Zwischenfaschingszeit zu verhindern.
«Ich … bin noch nicht so weit», antwortete ich ausweichend dem Cousin. «Ich versteh dich nicht. Unsere Omi hat sich immer so viel Mühe gegeben mit deinen Faschingskostümen», sagte er mehr hämisch als vorwurfsvoll. Er hatte recht. Das war das Problem. Meine Cousins mussten als Indianer und Cowboy von der Stange zum Fasching gehen. Ich hingegen als tapferes Schneiderlein. Mit handgesticktem Gürtel, angemaltem Kinnbart und echter Schneiderelle. Man muss kein in der amerikanischen Geschichte nachpromovierter Kinderpsychologe sein, um zu wissen, dass in den tollen Auseinandersetzungen zwischen Cowboys und Indianern auch sehr, sehr tapfere und zu allem
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