Ich kenne dein Geheimnis
Vicecommissario Pacì Barbera hatte ihr gerade eine Akte auf den Schreibtisch gelegt.
»Was ist das, Barbera?«
»Hinweise aus der Bevölkerung. Die meisten allerdings wohl reine Phantasieprodukte. Das da hingegen …«, Barbera zog einen
Umschlag aus der Mappe und hielt ihn seiner Chefin unter die Nase. »Der Brief ist in Catania abgestempelt und bestätigt, dass
Malena bis vor kurzem noch brünett war, was sich mit den Aussagen aus Venedig deckt«, dabei zeigte er auf ein Phantombild
an der Tafel. »Sie war Prostituierte und nannte sich Lena. Wir haben das überprüft: keine Vorstrafen. Könnte eine Spur sein
… Was meinen Sie?«
»Eine Spur … Nun ja, daran glaube ich erst, wenn wir sie gefunden haben«, sagte die Kommissarin kurz angebunden, aber dann
wurde sie etwas freundlicher. »Fortschritte haben wir bisher kaum vorzuweisen, und die Zeit vergeht …« Wieder blickte sie
auf die Fotos der Toten, vor allem auf das mit der abgeschnittenen Zunge. Wie zu sich selbst sagte sie: »Das erinnert an die
Mafia …«
Barbera ging sofort darauf ein: »Gut möglich, dass es sich um einen Racheakt handelt. Vielleicht waren die beiden ein Paar,
das auf eigene Faust Kasse machen wollte, hinter dem Rücken der Organisation. Und dann, zack«, Barbera ahmte die Geste des
Zungeabschneidens nach. »Dann müssten wir nur noch herausbekommen, um welche Mafia es sich handelt: Waren es die Italiener,
die Russen, die Rumänen oder die Nigerianer?«
Silvia schüttelte den Kopf. »Neuigkeiten von den Kollegen vor Ort?« Just in diesem Moment betrat Dante Bonadeo den Raum.
»Das hier ist gerade gekommen«, der Ispettore reichte Silvia ein Blatt Papier, »es hat zwar nicht direkt mit unserem Fall |277| zu tun, aber … Ein Zeuge hat einen Fahrerflüchtigen angezeigt, das Kennzeichen gehört zu einem als gestohlen gemeldeten Wagen.«
Silvia legte die Anzeige beiseite. »Darum kümmere ich mich später, Bonadeo, danke.«
»Das Kuriose an der Sache ist, dass es sich um das Fahrzeug handelt, mit dem neulich der Fotograf Salvo Falcetti angefahren
und tödlich verletzt wurde. Ganz in der Nähe der Wohnung von Smeralda Mangano. Der Zeuge hat den Unfall vom Fenster aus beobachtet.
Der Fahrer ist ausgestiegen, hat sich über Falcetti gebeugt und ihm Kamera und Laptop abgenommen.«
Silvia hob den Kopf. In ihren Augen lag ein gewisses Leuchten, das ihre Mitarbeiter nur zu gut kannten. »Diese Sache könnte
durchaus etwas mit unserem Fall zu tun haben. Smeralda Mangano …«, murmelte sie und dachte an das Projektil, das man Chiara
geschickt hatte. Und zwar nachdem sie das Interview mit der Schauspielerin gemacht hatte. »Die Mangano könnte das Bindeglied
sein, nach dem wir suchen.«
»Nun, die Mangano ist ebenfalls Stammkundin bei Amanda Luxury …«, mischte sich Pacì Barbera ein. »Wegen des Falles Anna Principini
habe ich doch die Liste der VIP-Kundinnen kontrolliert, an die ein Geschenk verschickt wurde, und die Mangano steht ganz oben.«
Silvia runzelte die Stirn. »Jetzt geht deine Phantasie aber mit dir durch, Barbera.« Dann wandte sie sich an Bonadeo: »Du
kümmerst dich um die Mangano.«
Der Ispettore konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken, das Barbera sofort bemerkte. »Aber die Ermittlungen nicht vergessen!«,
scherzte er und gab dem Kollegen einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.
»Seid ihr fertig?«
|278| »Ja, Commissario«, beide nickten.
»Gut, ich zähle auf euch. Und jetzt los, an die Arbeit«, dabei fixierte sie Barbera ein wenig länger als Bonadeo.
Als sie das Büro ihrer Chefin verlassen hatten, seufzte Barbera: »Hast du gesehen, wie sie mich angeschaut hat? Weißt du,
was ich denke? Wenn sie nicht so auf ihre Arbeit fixiert wäre, dann …«
»Mach dir keine Hoffnungen, alter Freund.«
»Warum? Meinst du, die Giorgini ist, nun, ich meine …«, Barbera machte eine undefinierbare Geste.
»Ich glaube, die Chefin interessiert sich nur für ihre Arbeit«, sagte Bonadeo trocken.
Chiara hatte sich das Frühstück aufs Zimmer bringen lassen. Sie hatte schlecht geschlafen, aber zum Glück keine Alpträume
gehabt, zumindest erinnerte sie sich nicht daran.
Sie legte den Löffel neben die Tasse und trank einen Schluck Cappuccino. Appetit hatte sie keinen, aber sie zwang sich trotzdem,
das Brioche zu essen. Wie immer, wenn sie allein aß, begannen ihre Gedanken zu wandern. Sie dachte an ihren Besuch bei Amanda
Luxury. Gemeinsam mit Silvia war
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