Ich kenne dein Geheimnis
größer gewesen als ihre Loyalität. Jahrelang hatte
sie wegen ihrer Feigheit ein schlechtes Gewissen gehabt. Zum Glück hatte Anna nie etwas davon erfahren. Amanda blieb das Vorbild,
dem sie nachzueifern versuchte. Sie war fasziniert von ihrer Gradlinigkeit und Souveränität. Die Männer lagen ihr zu Füßen.
Wie eine Spinne lockte sie die Opfer in ihr Netz, um sie auszusaugen, zu demütigen und selbst die größten Narzissten zu willenlosen
Kreaturen zu machen.
»Eines Tages wird einer kommen, der nicht in deinem Netz |75| kleben bleibt, dann wirst du ein echtes Problem haben«, hatte Anna einmal scherzhaft gesagt.
Amanda hatte nur gelacht, solche Gedanken waren ihr fremd. Ihre Freundschaft hatte das Gymnasium und die Universität überdauert.
Beide hatten Neuere Literaturwissenschaft studiert, obwohl Anna lieber Ärztin geworden wäre. Doch die Vorstellung, sich von
Amanda zu trennen, machte ihr Angst. Warum, wusste sie selbst nicht, sie wollte es auch nicht wissen. Schweren Herzens verzichtete
sie auf ein Medizinstudium. Während sie ihren Abschluss gemacht hatte, hatte Amanda das Studium im dritten Jahr geschmissen,
um Roberto De Santis zu heiraten, einen gutaussehenden jungen Mann, der die Accademia di Brera besuchte und damit prahlte,
ein genialer Künstler zu sein. Aber hinter der Fassade verbarg sich ein egozentrischer, selbstverliebter Nichtsnutz. Erst
hatte er sie geschwängert, dann zur Abtreibung gezwungen und damit ihr Leben ruiniert. Nach dem Eingriff hatte Amanda eine
Infektion, so dass sie keine Kinder mehr bekommen konnte. Nach einem Jahr hatten sie sich wieder scheiden lassen. Danach waren
Männer für Amanda tabu, stattdessen hatte sie sich in die Arbeit gestürzt. Einige Jahre später setzte sie alles auf eine Karte
und kaufte eine Luxusboutique. Wie sie das sündhaft teure Geschäft finanziert hatte, war Anna bis heute ein Rätsel. Amandas
Eltern konnten sie jedenfalls nicht unterstützt haben, sie besaßen selbst nicht viel. Aber Anna hatte sich deshalb keine Gedanken
gemacht, mit ihrem unternehmerischen Geschick und ihrer Energie würde Amanda es bestimmt schaffen. Außerdem hatte Anna in
dieser Zeit ganz andere Dinge im Kopf. Sie hatte einen faszinierenden Mann kennengelernt und sich Hals über Kopf in ihn verliebt.
Es gab nicht eine Studentin, die sie nicht darum beneidete, dass der Sonnyboy der Universität, Giampiero |76| Principini, der Assistent ihres Vaters, ein Auge auf sie geworfen hatte.
»Was sagst du dazu?« Amanda hatte ein elegantes schwarzes Seidenkleid entdeckt. »Das wird wunderbar an dir aussehen.«
Anna sah sie zweifelnd an.
»Los, geh in die Kabine und probier es an!« Amanda nahm das Kleid vom Bügel und hielt es ihr hin. »Du wirst sehen, dein Mann
wird begeistert sein.«
Anna verzog das Gesicht.
Aber Amanda wusste, dass sie gewonnen hatte. »Komm her, Anna, alles wird gut, glaub mir.« Dann nahm sie ihre Freundin in die
Arme. Anna gab sich der Umarmung hin und fühlte sich einen Moment lang in die Schulzeit zurückversetzt, als ein Wort von Amanda
genügt hatte, um selbst die verfahrensten Situationen zu retten.
»Ruf mich, wenn du so weit bist«, Amanda lächelte, als sie in ihr Büro ging.
» Buongiorno , direttore !«
Michele, der hochgewachsene Bodyguard im schwarzen Anzug, lächelte dem Mann zu, der gerade Amandas Boutique betrat. Wortlos
ging Franco Spargi an ihm vorbei. Es war zehn Uhr, das Geschäft hatte gerade erst geöffnet. Bei seinem Eintritt schallte ihm
dröhnend laute Musik entgegen, aber das störte Spargi nicht. Es gehörte einfach dazu. Die Musik wurde von DJ Fargetta extra
für Amandas Boutique zusammengestellt, ein weiteres Merkmal ihrer Exklusivität. Spargi war jeden Tag aufs Neue von der extravaganten
Einrichtung des Ladens fasziniert, der den gesamten zweiten Stock eines großbürgerlichen Palazzos einnahm. Geplant war er
nach dem gleichen avantgardistischen Konzept wie die Megastores in New York. Immer taghell erleuchtet und frühlingshaft temperiert. |77| Der weiße Kunstharzboden reflektierte das Licht und gab dem Ganzen eine betont kühle Atmosphäre, die auf den Kleiderständern
aufgereihten Modelle exklusiver Marken bildeten dazu einen farbenfrohen Kontrast. Als Umkleidekabinen dienten mobile Wände,
die zum einen Intimität, zum anderen aber auch ausreichend Bewegungsfreiheit garantierten. Amandas »magische« Spiegel ließen
jede Figur vorteilhaft schlank erscheinen,
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