Ich kenne dein Geheimnis
helfen.«
»Weißt du eigentlich, wie hoch deine Schulden sind?«
Lupo schwieg.
»Dreihunderttausend Euro!«
»Das kann nicht sein. Das letzte Mal waren es doch nur fünfundzwanzigtausend.«
»Das vorletzte Mal, Lupo …«
Lupo blieb unbeeindruckt.
»Wenn du nicht zahlst, machen sie dich kalt.«
»Niemand wird es wagen, einen Sannazzaro zu töten. Man bringt doch auch keinen Agnelli um.«
»Denen ist völlig egal, wer du bist, die wollen nur ihr Geld. Und sie vergessen nie.«
Wenn sie daran dachte, spürte sie einen Stich in der Brust. War es ihre Schuld, dass es so weit gekommen war? Brenno hatte
ihr erzählt, dass Lupo die Gerüchte, die in der besseren Gesellschaft Palermos kursierten, ignoriert hatte. »Er liebt dich
wirklich«, hatte er noch gesagt.
Am letzten Abend im La Perla del Mare hatte sie sich ihm zu Füßen geworfen, ihn angefleht, bei ihr zu bleiben, doch er hatte
sie beruhigt, genau wie Alessandro Preziosi es mit Miranda Biglieri gemacht hatte. »Ich bin bald zurück, und dann heiraten
wir. Das schwöre ich.« Doch am nächsten Tag war Lupo für immer verschwunden.
»Der Blaue Baron stirbt bei einem tragischen Autounfall. Porsche des Millionärs geht in Flammen auf. Der Sohn von Vivy Sannazzaro
verliert auf dem Weg zum Flughafen Palermo die Kontrolle über sein Fahrzeug. Grund war überhöhte Geschwindigkeit.«
Smeralda erinnerte sich noch gut an die Schlagzeilen der |73| Zeitungen und an den Artikel im Corriere della Sera über die Muttersöhnchen, die als unverantwortliche Raser die Straßen unsicher
machten. Sie erinnerte sich an die vielen Fernsehinterviews mit Freunden und ehemaligen Geliebten Lupos, oder solchen, die
vorgaben, es gewesen zu sein. Vor allem aber erinnerte sie sich an Brennos Worte.
Denen ist völlig egal, wer du bist, die wollen nur ihr Geld. Und sie vergessen nie.
»Kann es sein, dass du meine Größe grundsätzlich nicht vorrätig hast?« Verärgert inspizierte Anna die Modelle, die auf den
zahlreichen Kleiderständern in Amanda Soleris Boutique hingen.
»Du solltest ein Schild aufhängen: Nur für Magersüchtige! Nein, noch besser: für Magersüchtige mit dickem Portemonnaie.« Dabei
wedelte sie ihrer Freundin mit einem Preisschild vor dem Gesicht herum.
»Etwas nervös heute, was?« Amanda Soleri nahm das Preisschild und steckte es an seinen Platz zurück. »Hat dein Giampiero wieder
irgendetwas angestellt?«
»Lass gut sein.« Anna Bechi Principini schüttelte den Kopf. Ihre Freundin kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie jetzt
besser nicht weiter bohrte. Sie erinnerte sich daran, wie sie sich kennengelernt hatten, damals im Speisesaal der Ursulinen
im Viale Majno. Ihre Freundschaft war aus der Not heraus entstanden, denn Anna mochte kein Gemüse, Amanda keine Pasta. Deshalb
hatten sie sich nebeneinandergesetzt und heimlich getauscht. Später waren sie richtige Freundinnen geworden, hatten gemeinsam
gelernt und Spaß miteinander gehabt. Da sie beide Einzelkinder waren, hatten sie in der anderen das gefunden, was sie in ihrer
eigenen Familie vermissten: eine Schwester, der sie bedingungslos vertrauen konnten. Ihre Charaktere konnten unterschiedlicher
nicht sein: Hier die |74| brave, schüchterne Anna mit der ordentlichen Ponyfrisur, dort die aufsässige, chaotische Amanda, die sich einen Spaß daraus
machte, im Unterricht ständig ihre rote Löwenmähne zu schütteln, was die Lehrerin schier in den Wahnsinn trieb. In Wahrheit
aber diente diese Geste dazu, die Lehrerin abzulenken, wenn sie mal wieder bei Anna spickte. Ihre Freundin war schriftlich
zwar sehr gut, doch mündlich stand ihr ihre Schüchternheit im Wege. Amanda erinnerte sich noch genau an eine mündliche Prüfung
in Geschichte in der achten Klasse. Anna hatte kein Wort herausgebracht. Sie schwieg, obwohl sie alles wusste. Amanda dagegen
wusste nur wenig und hatte sich eine gute Ausrede für die Lehrerin ausgedacht, falls sie drankommen würde.
»Es tut mir leid, Bechi, aber dieses Mal kann ich dir keine gute Note geben«, hatte die Lehrerin bedauernd gesagt und ihr
ein »Ausreichend« eingetragen.
»Ausreichend?« Die Mitschülerinnen waren empört. »Sie hat nicht einmal den Mund aufgemacht!«
»Mir hätte sie ein ›ungenügend‹ gegeben.«
»Mir auch …«
»Wundert euch das? Sie ist eben das ›Professorentöchterlein‹, wie Schwester Gelasia immer sagt.«
Amanda wollte ihrer Freundin helfen, aber die Angst vor den anderen war
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