Ich kenne dein Geheimnis
den Kundinnen wurde der Eindruck vermittelt, das Modell sei ihnen wie auf den Leib
geschneidert. Das von einem Theaterbeleuchter eingerichtete Licht wurde von Weichzeichnern gefiltert, wodurch die Haut weniger
glänzte und Augenringe und Cellulitis dezent kaschiert wurden. All diese kleinen Tricks waren ausgesprochen verkaufsfördernd.
Amanda hatte ihr Ziel erreicht: Ihre Kundinnen fühlten sich schön. Nur Anna Principini kannte das Geheimnis der Spiegel, aber
sie behielt es für sich. Das Hochgefühl der Kundinnen fand jedoch ein jähes Ende, wenn sie den attraktiven Verkäuferinnen
ihre Kreditkarten reichten und danach einen verstohlenen Blick auf den Zahlungsbeleg warfen. Danach wirkte ihr eben noch strahlendes
Lächeln etwas gequält. Wer sich vom Einkaufsstress erholen musste, der konnte das in der eleganten Bar in der westlichen Ecke
der Boutique tun. An winzigen Tischchen wurde man von gutaussehenden Kellnern in dunkler Uniform mit Häppchen und Getränken
verwöhnt. Die Kellner, meist Studenten, wirkten wie aus einem Hochglanzmagazin entsprungen. Amanda persönlich leitete das
Auswahlverfahren, das einem Casting für eine Fernsehshow glich. Was die Attraktivität ihrer Angestellten anging, wollte sie
nichts dem Zufall überlassen. Nicht selten entwickelten sich leidenschaftliche Affären zwischen ihren Kellnern und reichen
Kundinnen. Sie kannte Frauen, die nur deshalb zu ihr kamen. Aber das störte sie nicht, im Gegenteil. Sie wusste aus eigener |78| Erfahrung, dass es keinen besseren Grund gab, sich neu einzukleiden, als die Liebe und der Wunsch, gut auszusehen.
Franco Spargi näherte sich einer grazilen brünetten Verkäuferin, die gerade dabei war, eine Samthose auf einen Kleiderständer
zurückzuhängen. Sie hatte ihren Chef nicht kommen hören und ließ das edle Stück vor Schreck zu Boden fallen. »Vorsicht, Titti«,
warnte er. »Es tut mir leid«, stammelte sie, hob die Hose mit zitternden Händen auf und versuchte sie wieder in Form zu bringen.
Sie war erst eine Woche im Haus, und das Einzige, was sie bis jetzt gut beherrschte, war der unschuldige Augenaufschlag, mit
dem sie den attraktiven Geschäftsführer bedachte. Sie war beileibe nicht seine einzige Verehrerin. Für die weibliche Kundschaft
war nicht zuletzt Franco Spargi ein Grund, den Laden eifrig zu frequentieren. Beim Begutachten der neuen Kollektion warfen
sie ihm heimliche Blicke zu und schwärmten: »Er sieht einfach phantastisch aus.« Drei Jahre lang war Spargi in New York für
Calvin Klein auf Modenschauen gelaufen. Zurück in Italien, hatte er sich aus dem Modelgeschäft zurückgezogen. Es waren vor
allem seine Augen, die die Frauenherzen höher schlagen ließen. Je nach Lichteinfall veränderten sie die Farbe, manchmal wirkten
sie blau, manchmal unergründlich dunkel, ja fast schwarz. Gegen den Trend trug er die dunklen Haare lang, häufig zu einem
Pferdeschwanz gebunden. Was kümmerte ihn schon die Mode? Er war ein schöner Mann, und schöne Männer können sich alles erlauben.
»Buongiorno, Direttore«, grüßte ihn seine Stellvertreterin Luisa freundlich. Sie war wohl seine unscheinbarste, sicher aber
seine effektivste Mitarbeitern.
»Buongiorno, Luisa. Ist Amanda schon da?«
»Ja. Sie wartet im Büro auf Sie.«
»Endlich!« Amanda stand in ihrem weiß möblierten Büro |79| vor einem Schifano-Gemälde, dessen kräftige Farben den Betrachter in Bann zogen. Sie fixierte Spargi mit finsterem Blick.
Franco Spargi ließ sich nicht einschüchtern. Aufreizend langsam hob er den Arm und sah auf seine Rolex. »Wir haben fünf nach
zehn, Amanda.«
Amanda schnaubte. Obwohl es angenehm kühl im Raum war, standen ihr Schweißperlen auf der Stirn. Auf dem mit dünnen Papierstreifen
übersäten Schreibtisch stand ein Aktenvernichter. Amanda registrierte Spargis fragenden Blick und schwitzte jetzt so stark,
dass sie sich die Stirn abtupfen musste.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte er und steckte sich eine Zigarette an. Amanda donnerte mit der Faust auf den Tisch, so dass
einzelne Papierstreifen zu Boden segelten. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass hier nicht geraucht wird? Du weißt, dass
das die Kundschaft nicht schätzt.«
Spargi räkelte sich im Sessel, die Zigarette lässig zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt, die Füße auf der Tischplatte.
»Ach Amanda, du bist doch diejenige, die es stört. Du ahnst gar nicht, wie viele Kundinnen in der Bar fragen, ob sie
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