Ich kenne dein Geheimnis
weiße Augäpfel enthüllt. Sie hatte den Mund geöffnet,
als ob sie etwas sagen wollte. Doch zwischen ihren Zähnen steckte etwas fest, das sie am Sprechen hinderte: ein großes Stück
Zunge, so dunkel, als hätte man es schwarz angemalt.
Chiara schüttelte sich. Heute war ein neuer Tag, sagte sie sich und dachte an den Stress, der auf sie wartete. Das würde sie
ablenken. Um elf hatte sie einen Termin mit Alba Sereni, einer Darstellerin aus dem Film »Kollegen im Büro«. Welches Geheimnis
konnte eine Dreiundzwanzigjährige schon haben? Abgesehen davon, dass sie mit dem Regisseur des Films ein Verhältnis hatte.
Für Ermanno Forte war das natürlich kein Problem, solange die junge Frau an den richtigen Stellen gut bestückt war.
Rasch machte sie sich mit der alten Mokka-Kanne einen Kaffee. Zum Geburtstag hatte sie von ihrem Vater zwar einen modernen
Vollautomaten bekommen, der einen wunderbaren Espresso produzierte, doch sie traute sich an dieses technische Wunderwerk nicht
so recht heran. Besser, damit warten, bis Paolo wieder da war. Noch schnell einen Toast mit Honig, dann unter die Dusche,
erst heiß, anschließend eiskalt, um auf Touren zu kommen. Danach rieb sie sich mit Feuchtigkeitsmilch ein, putzte sich die
Zähne und warf einen Blick in den Spiegel. Ihre Haare waren ziemlich gewachsen, und die gefärbten Strähnchen wirkten an einigen
Stellen schon etwas blass. Zum Glück gab es ja Antonio. Ein Friseur am Arbeitsplatz war Gold wert, wenigstens ein Pluspunkt,
der die Nachteile ihres |24| Jobs bei Telestella ein wenig aufwog. Erleichtert stellte sie fest, dass sie nur leichte Ringe unter den Augen hatte, die
ihre wunderbare Maskenbildnerin Francesca mit etwas Abdeckstift und Make-up locker in den Griff bekommen würde.
»Meine Göttin.« Antonio richtete eine letzte Locke und trat einen Schritt zurück, um sein Meisterwerk zu bewundern. »Du wirst
sehen, das hat einen tollen Effekt!« Dabei riss er die Augen auf, was Chiara zum Lachen brachte.
»Du bist dran, Schätzchen …«, affektiert winkte Antonio einer jungen Frau in Jeans und T-Shirt zu, die mit einem Schminkkoffer
in der Hand ungeduldig auf Chiara wartete. »Zack, zack«, Antonio klatschte theatralisch in die Hände.
Chiara zeigte auf ein erdfarbenes Rouge. »Heute möchte ich besonders natürlich wirken, dieser Ton wäre ideal.«
Francesca lächelte ihr zu und machte sich ans Werk. Zwischen Puder und Schminke warf sie hin und wieder ängstliche Blicke
zu Imelde hinüber. Die Produzentin der Sendung tigerte durch die Garderobe, ein untrügliches Zeichen, dass sie sich beeilen
musste. Während Chiara geschminkt wurde, klingelte ununterbrochen ihr Handy. Ein paar Mal hatte sie auf die Stummtaste gedrückt,
aber als sie den Namen auf dem Display las, nahm sie den Anruf schließlich doch an. »Ja, Chef, keine Bange, ich werde die
Sereni nicht in Schwierigkeiten bringen. Verstehe, ganz wie Sie wollen …« Chiara rollte die Augen. »Aber nein, entschuldigen
Sie, ich wollte sagen, wie sie es verdient hat, natürlich, im Anbetracht ihres Talents.«
In der Zwischenzeit war Imelde näher gekommen und deutete nervös mit dem Zeigefinger auf die Uhr. Chiara legte die Hand über
die Muschel: »ER ist dran, nur einen Augenblick noch.« Dann sprach sie weiter: »In Ordnung, Chef. Wird gemacht.«
|25| Während Francesca mühevoll versuchte, ihr falsche Wimpern anzukleben, tauchte Alba Serenis Agentin Lola Frezza in der Garderobe
auf. Wichtigtuerisch bombardierte sie Chiara mit einer Reihe von Verhaltensregeln. Sie verbot ihr auch, über den neuen Verlobten
der Sereni zu sprechen. Regisseur Cirri war derzeit noch mit einer Unternehmerin verheiratet, mit der er zwei Kinder hatte.
»Aber dass die beiden zusammen sind, steht in jeder Zeitung«, warf Chiara ein.
»Das spielt keine Rolle. Sie will nicht darüber sprechen. Alba hat sich für das Interview nur deshalb zur Verfügung gestellt,
weil sie Ermanno Forte noch einen Gefallen schuldet.« Dabei blickte sie Chiara vielsagend an. »Sie müssen schon verstehen,
immerhin ist Telestella nur ein Regionalsender …«
Chiara hätte ihr gerne eine passende Antwort gegeben, aber stattdessen schenkte sie der Agentin ein hintergründiges Lächeln,
das mehr sagte als tausend Worte.
Die Sendung stand unter keinem guten Stern. Ein Tontechniker stolperte über ein Kabel und verstauchte sich den Knöchel. Cirri
hatte Ermanno Forte persönlich angerufen, um
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