Ich klage an
hierarchisch-autoritäre Einstellung (»der Chef ist allmächtig, andere können nur gehorsam sein«); a die Gruppenidentität (»die Gruppe steht immer über dem Individuum«; wer nicht zur eigenen Sippe/Stamm gehört, stößt auf Mißtrauen oder wird bestenfalls nicht ernst genommen);
a eine patriarchalische Gesinnung und Schamkultur (die Frau hat eine reproduktive Funktion und schuldet dem Mann Gehorsam; tut sie das nicht, dann macht sie der Familie
Schande).
Gesellschaftliche Einheiten, bei denen Ehre 8 und Schande oder Scham zentrale Begriffe sind, sind formend für die islamische Identität. »Ehre« ist eine Angelegenheit der Gruppe. Die relevanten Gruppen steigern sich von Familien, Sippe und Stamm zur größten Einheit: der Gemeinschaft der Gläubigen ( Umma ).
Was die Gemeinschaft der Gläubigen betrifft: Allein die Tatsache, daß sich jemand als Muslim bezeichnet, reicht aus, ihn als näherstehend einzuordnen als einen Nichtmuslim. Man fühlt eine emotionale Bindung mit unterdrückten Muslimen anderswo auf der Welt. Oft wird die Gemeinschaft der Gläubigen als blutender Körper dargestellt, der Schmerz empfindet, sobald Glaubensbrüder irgendwo leiden oder unterdrückt werden (Kaschmir, Palästina).
Was den Stamm oder das Fo/ä: betrifft: Jemand aus derselben Region oder demselben Land steht wieder näher als jemand aus einem fernen Land. Das ist nicht unbedingt an die Nationalität (eine moderne Vorstellung) gekoppelt. Ein türkischer Kurde fühlt sich einem iranischen oder irakischen Kurden verwandt und, als Folge einer langen Geschichte von Kämpfen und Feindschaft, eben nicht seinem türkischen Nachbarn.
Was die Familie und die (Teil-)SippSoetnfft: Im Familien-und Sippenbereich gilt es als ehrenhaft, möglichst viele Söhne zu haben. Für eine große Zahl von Männern ist das ein Grund, früh und mehr als nur eine Frau zu heiraten. Die untergeordnete Stellung der Frau leitet sich aus zweierlei Gründen auch vom Wunsch nach vielen Söhnen ab.
Der erste Grund: Die Kinder einer Frau tragen immer den Namen ihres Vaters, nie den ihrer Mutter (und damit also nicht den Namen von deren Vater). Eine Ehe außerhalb der Teilsippe (des Familienclans) bedeutet, daß die Frau durch das Gebären von Kindern dem Interesse einer rivalisierenden Teilsippe (den Familienclans) dient. Aus Mißtrauen gegenüber den anderen Teilsippen (man weiß nie, ob diese stärker und aggressiver werden und einen angreifen) ist es üblich, Ehen zwischen Cousins und Cousinen zu fördern. Der Wunsch nach möglichst vielen Söhnen kann zu unkontrolliertem Bevölkerungswachstum führen. Die Ehen von nahen Verwandten bergen außerdem große Gesundheitsnsiken."
Der zweite Grund: Eine Frau kann, oft mit schrecklichen Konsequenzen, die Ehre ihres Vaters und damit die ihrer Sippe besudeln, indem sie beispielsweise nicht in der vorgeschriebenen Kleidung das Haus verläßt oder weil sie vor der Ehe Geschlechtsverkehr hat. Die dafür vorgesehenen Strafen reichen von verbalen Warnungen und Mißhandlung bis zu Verstoßung und Mord. Die Konsequenz ist in so gut wie allen Fällen, daß die Frau keinen Ehemann mehr findet. Die Familie verliert nicht nur an Achtung, die Frau bleibt auch eine finanzielle Belastung. Ihre Anwesenheit im Elternhaus erinnert ständig an die Schande, die sie über ihre Familie und ihre Sippe gebracht hat. Das Individuum ist also völlig dem Kollektiv untergeordnet. Jedes Kind wird in der Schamkultur sozialisiert, in deren Zentrum die Begriffe Ehre und Schande stehen. Werte wie Freiheit und individuelle Verantwortlichkeit spielen in dieser Gedankenwelt keinerlei Rolle. Als erste Tugend lernt ein Kind, den erwachsenen Familienmitgliedern zu gehorchen. Jungen wird auch sehr früh beigebracht, sich ihrer Haut zu wehren. Aggressives Verhalten ist in dieser Kultur funktional, um öffentliche Demütigung durch andere zu vermeiden.
Die hier beschriebene Kultur ähnelt stark dem von Jan Romein entwickelten Konzept des Algemeen Menselijk Pa-troon (AMP) (Allgemeines menschliches Grundmuster). Van der Loo und van Reijen fassen die wichtigsten Elemente des AMP wie folgt zusammen: Es ist ein Muster, das wir mit Ausnahme der modernen in allen Gesellschaften vorfinden. Der Mensch fühlt sich als Teil der Natur. Er will sie nutzen, ist aber nicht von der Vorstellung besessen, ihre Geheimnisse erforschen zu müssen. Der AMP-Mensch hat eine bestimmte Denkweise, nämlich konkret, in Bildern, und nicht abstrakt, in Begriffen. Die vielen
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