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Ich klage an

Titel: Ich klage an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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Menschen distanzieren sich stillschweigend vom Islam. Sie arbeiten und ziehen, wenn sie es sich leisten können, in bessere Stadtviertel, lassen ihre Kinder studieren und mischen sich nicht in die aktuelle, aufgeheizte Debatte im Westen über den Islam ein.
    Eine zweite Gruppe fühlt sich durch die von außen kommende Kritik an ihrem Glauben schwer gekränkt und nimmt sie persönlich. Diese Muslime haben generationenlang gelernt, daß die Schuld für ihre Probleme nicht bei ihnen selbst liegt, aber auch nicht beim Koran und dem Propheten Mohammed.
    Drittens und letztens gibt es die fortschrittlichen Muslime. Diese Gruppe besteht aus einigen wenigen Personen, die sagen: »Wir müssen uns selbst den Spiegel Vorhalten und versuchen herauszubekommen, wo etwas falsch gelaufen ist.« Sie könnten den Käfig nach und nach einreißen und auf diese Weise dafür sorgen, daß noch mehr Menschen ausbrechen können. Doch meine Hoffnung und mein Traum, daß dies im Westen möglich sein müßte, scheitert an den heftigen negativen Reaktionen von wohlgemerkt säkularen Abendländern. Die wenigen aufgeklärten Muslime werden von den westlichen Kulturrelativisten mit ihren Antirassismusbüros behindert, die sagen: »Wer Kritik am Islam äußert, beleidigt dessen Anhänger und ist demnach ein Rassist, Islamhasser oder Aufklärungsfundamentalist.« Und: »Der Islam ist Bestandteil ihrer Kultur, die darf man ihnen nicht nehmen.« So bleibt die Käfigtür noch länger geschlossen. Westeuropäer und Muslime haben einen Teufelspakt geschlossen: Die erste-ren leben von Lobbyarbeit, Hilfeleistung und Entwicklungszusammenarbeit, die anderen profitieren vom Käfig. Beide eint ein kurzsichtiges, egoistisches, auf den eigenen Vorteil gerichtetes Interesse.
    Vor fünf Jahren gehörte ich selbst auch noch zu der Kategorie der schweigenden Minderheit. Ich dachte: »Wir leben jetzt in einem freien Land. Wenn du als Frau es zuläßt, daß man dich schlägt, bist du selbst verantwortlich für dein Unglück. Wenn ich du wäre, würde ich weglaufen. Ich würde mein Jungfernhäutchen nicht wieder operativ in Ordnung bringen lassen. Wenn ich du wäre, würde ich hier und jetzt mein eigenes Leben führen.« Jetzt denke ich anders. Jetzt ist mir bewußt, wie wichtig die Erziehung ist, weil damit nicht nur das Leben beginnt, sondern in der islamischen Kultur auch der Käfig aufgebaut wird. Viele muslimische Mädchen werden nach den Vorschriften des Korans und nach dem Beispiel des Propheten Mohammed erzogen, um ein unterwürfiges, gehorsames Leben zu führen. Wenn sie älter geworden sind, ist es für sie sehr schwer, sich davon zu lösen. Von jedem Muslim wird erwartet, daß er sich Allahs Willen unterwirft. Aber im Grunde sind es die Mädchen und Frauen, die sich am meisten unterwerfen müssen. Mir ist jetzt bewußt, daß diese
    Erziehung einen derart großen Einfluß auf Frauen ausüben kann, daß sie sich nie mehr aus diesem Käfig befreien können. Sie haben ihre Unterdrückung verinnerlicht und nehmen sie nicht mehr als Unterdrückung von außen wahr, sondern vor allem als einen starken inneren Schutzschild. Die Frauen, die diese Überlebensstrategien beherrschen, leiten daraus einen gewissen Stolz ab.
    Die Frauen der türkischen Bewegung Milli Görüs, die ich besucht habe, waren sehr selbstsicher, laut, fast aggressiv. Wütend verteidigten sie ihre eigene Unterdrückung: »Ich will ein Kopftuch tragen, ich will meinem Mann gehorchen.« Mir sind auch Marokkanerinnen begegnet, die mir sagten: »Ich will das Kopftuch tragen, weil Allah der Erhabene das gesagt hat.« »Wenn du wirklich alles tun willst, was Allah der Erhabene gesagt hat«, erwiderte ich ihnen, »dann bleib halt in deinem Käfig.« Diese Einstellung läßt sich vergleichen mit dem sogenannten Stockholm-Syndrom, bei dem die Geiseln Zuneigung zu ihren Geiselnehmern entwickeln und engen, intimen Kontakt mit ihnen bekommen. Aber natürlich ist das kein normaler Kontakt. So etwas gab es auch bei Sklaven, die nicht nur faktisch, sondern auch psychisch Sklaven geworden waren und die Sicherheit des Sklavendaseins einer Ungewissen Freiheit vorzogen.
    Währenddessen warten viele auf eine Periode der Aufklärung im Islam. Aber diese Aufklärung kommt nicht von selbst. Deswegen muß sich eine Veränderung in der Art, wie Muslime über den Islam denken, vollziehen. Sie müssen lernen, anders über den Umgang mit ihrem Glauben, über das Leben, über Sinngebung und über ihre eigene Sexualmoral zu

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