Ich klage an
der Grundlage ihrer eigenen Heiligen Schrift die Hauptursache ihrer mißlichen Lage ist. Daß es trotz alledem einer ganzen Menge Muslimen gutgeht, hat seinen Grund darin, daß sie einen Ausweg gefunden haben. Sie sagen: »Ich werde meine Frau auf keinen Fall fragen, ob sie noch Jungfrau ist. Das ist mir egal. Ich überlasse es Allah.« So überleben sie.
Die einzige reale Hoffnung für Muslime besteht darin, daß sie sich in Selbstkritik üben und die auf den Koran zurückgehenden moralischen Werte überprüfen. Erst dann können sie aus dem Käfig ausbrechen, in dem sie ihre Frauen - und damit sich selbst - gefangenhalten. Für die fünfzehn Millionen im Westen lebenden Muslime gelten hier sehr günstige Bedingungen, diese Hoffnung Wirklichkeit werden zu lassen. Und zwar in erster Linie, weil es in den westlichen Ländern bürgerliche Rechte und Freiheiten - nicht zuletzt die Meinungsfreiheit - gibt. Ein Muslim, der in Europa die Grundlagen des Glaubens kritisiert, braucht sich nicht vor einer Gefängnisstrafe oder wie in arabisch-islamischen Staaten vor der staatlich sanktionierten Todesstrafe zu fürchten.
Ni Putes Ni Soumises, die Gruppe muslimischer Frauen in Frankreich, die sich gegen Gruppenvergewaltigungen zur Wehr setzt, welche ihre Glaubensbrüder begangen haben, nutzt ihr Recht auf freie Meinungsäußerung. Wegbereiterin dieser Gruppe ist Samira Bellil, die selbst Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden ist. Ein vergleichbarer Protest wäre in jedem islamischen Land so gut wie unmöglich.
Ein anderes Beispiel ist das Pamphlet Weg mit dem Schleier! der Iranerin Chahdortt Djavann. Im Iran, wo das Tragen des Schleiers Pflicht ist, könnte es noch nicht einmal erscheinen.
Einige Schriftsteller und Denker islamischer Abstammung nutzen bereits den Freiraum, den ihnen der Westen bietet. In den Niederlanden sind dies beispielsweise der Schriftsteller
Hafid Bouazza und der Philosoph Afshin Ellian. Vielleicht können ihre Werke eines Tages ins Arabische und Persische übersetzt werden, doch vorläufig sind sie in den meisten islamischen Ländern noch verboten. Wer den Finger genau in diese Wunde gelegt hat, ist der aus Pakistan stammende Philosoph Ibn-Warraq, der Verfasser von Warum ich kein Muslim bin. Die Tatsache, daß dieser mutige Mann ein Pseudonym verwendet, zeigt, daß er sich nicht einmal im Westen sicher fühlt.
Zum zweiten haben die im Westen lebenden Muslime leichter Zugang zu Informationen. Auf diese Weise können sie in Bibliotheken und an Universitäten, aber auch mit Hilfe anderer Menschen Wissen erwerben, welches es ihnen ermöglicht, eine kritische Haltung gegenüber dem eigenen Glauben zu entwickeln. Darüber hinaus gibt es im Westen eine lange Tradition der Religionskritik.
Ein letzter Grund, wieso Muslime gerade im Westen zur Selbstkritik finden können, ist, daß westliche Länder, allen voran die Vereinigten Staaten, einen Krieg gegen den islamischen Terror führen. Paradoxerweise haben die Anschläge vom 11. September 2001 zu einem enormen Interesse am Islam geführt, obwohl dies gar nicht beabsichtigt war. Diese Faszination - die zum Teil eine Folge des abendländischen Selbsterhaltungstriebs ist - bietet den Muslimen im Westen eine zusätzliche Chance, aus ihrem geistigen Käfig auszubrechen.
Trotz dieser günstigen Bedingungen werden westliche Muslime leider stärker von konservativem islamischem Gedankengut beeinflußt als von den Ideen liberaler Denker wie der Soziologin Fatima Mernissi.
Natürlich ist mir durchaus klar, daß nicht alle fünfzehn Millionen Muslime im Westen sofort eine kritische Haltung gegenüber dem Propheten einnehmen und manche von ihnen zu Mitteln wie Drohungen und Einschüchterungsversuchen greifen werden, daß sie vielleicht Selbstjustiz üben wollen, ja sogar zum Mörder werden. Schlimmer noch: Auch viele Frauen werden sich energisch gegen Veränderungen zur Wehr setzen, indem sie beispielsweise demonstrativ Kopftücher tragen. Denken Sie nur an die vielen Frauen, die erzählen, daß sie in der Türkei kein Kopftuch getragen haben, dafür aber nach ihrer Ankunft in den Niederlanden. Die ständige Konfrontation mit diesen Aussagen wird die fortschrittlichen europäischen Muslime mutlos stimmen.
Im Westen lassen sich drei Arten von Muslimen unterscheiden. Erstens eine schweigende Minderheit, welche die Vorschriften des Islam vielleicht schon gar nicht mehr befolgt und sich sehr wohl bewußt ist, daß dem Individualismus die Zukunft gehört. Diese
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