Ich krieg dich!: Menschen für sich gewinnen - Ein Ex-Agent verrät die besten Strategien (German Edition)
üblichen Transaktionen des alltäglichen Lebens abgewickelt wurden. Außerdem gab es ein diskretes Firmenkonto. In der Regel fuhr er einen schwarzen tiefer gelegten Audi A5 mit Sportfahrwerk, Alufelgen und Ledersitzen. Das Fahrzeug war auf seine Freundin zugelassen, die keinen deutschen Führerschein besaß. Auf Tichows Namen war in Deutschland weder ein Fahrzeug noch ein Festnetzanschluss registriert. Auffällig war, dass er drei- bis viermal monatlich Mietfahrzeuge buchte. Immer sehr große, sportliche, schnelle und repräsentative Autos. Oft unter wechselnden Namen. Neben seinem eigenen tauchten der Namen seiner Firma, seiner Freundin, von deren Schwester oder deren Ehemann auf. Angemietet wurden die Fahrzeuge meistens in Frankfurt. In Ausnahmefällen in Wiesbaden, Hamburg, Berlin und in einem Fall in München. In einem Drittel aller Fälle wurden die Fahrzeuge
am Flughafen Amsterdam zurückgegeben. Nach Frankfurt flog er immer mit demselben KLM-Flug am frühen Nachmittag.
Die Analyse hatte in Erfahrung gebracht, dass Tichow viel Zeit in Hamburg und in Berlin verbrachte, wo er bei Freundinnen wohnte, die offensichtlich nichts voneinander wussten. Er war geschieden und hatte einen sechsjährigen Sohn, der an Mukoviszidose, auch zystische Fibrose genannt, einer unheilbaren Stoffwechselkrankheit litt und bei seiner Mutter in Kasan, einer Stadt in Russland direkt an der Wolga lebte. Tichow besuchte die beiden regelmäßig und unterstützte sie finanziell mit stattlichen Beträgen. Sein Sohn brauchte teure, in Russland schwer erhältliche Medikamente. Mit seinen Mieteinnahmen aus der Lagerhalle konnte Tichow Ausgaben in diesem Umfang unmöglich bestreiten. Wahrscheinlich zweigte er deshalb heimlich Rauschgift ab. Der Verkauf brachte ihm leicht verdientes Geld, doch das Risiko war enorm hoch. Tichow wusste, dass er mit drakonischen Strafen rechnen musste, sollte dieses Geheimnis jemals auffliegen. Wem gegenüber er sich zu verantworten hätte, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Auch konnten wir noch keine Verbindung zu Wladimir L. herstellen, doch unsere Chancen standen gut, denn Frankfurt und Berlin gehörten zu Wladimirs Revier.
Ich war hochzufrieden, denn nun war ich bestens über Tichow informiert. Das Spiel konnte beginnen. Mein Ziel war klar: Tichow für den Nachrichtendienst zu gewinnen. Die Voraussetzungen erschienen günstig. Dennoch wartete ein beträchtliches Stück Arbeit auf mich. Die Methoden, die ein Agent in der Anwerbungsphase anwendet, sind äußerst subtil und unterscheiden sich in jeder Hinsicht von den gängigen Klischees.
In Kinofilmen wird die Vorgehensweise der Geheimdienste als eher plump beschrieben. Dort folgen Agenten einfachen Regeln,
nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Druck, Erpressung und Nötigung gelten als gängige Methoden, und wenn sie nicht zum Erfolg führen, wird mit Geld gefügig gemacht. Wissen wird gekauft. Aktenkoffer mit dicken Geldbündeln werden gegen Mikrofilme und CDs getauscht, Geld führt in Versuchung und bringt schließlich zu Fall.
Die Realität sieht anders aus. Die Informationen, auf die der Geheimdienst Wert legt, sind brisant. Für denjenigen, der sie verrät, steht vieles, wenn nicht alles auf dem Spiel. Auf jeden Fall seine Integrität innerhalb der Organisation, unter Umständen seine wirtschaftliche Existenzgrundlage, im Extremfall seine Gesundheit oder sein Leben. Warum sollte jemand eine solche Kooperation eingehen? Wo liegen die Motive, so etwas zu tun?
Kurzfristige Motive gibt es reichlich, abhängig von der jeweiligen Situation und dem jeweiligen Protagonisten. Ein handfestes Kompromat wie Tichows Rauschgift-Unterschlagung ist absoluter Luxus. In anderen Fällen bieten sich beispielsweise folgende Ansatzpunkte: Streitigkeiten innerhalb einer Organisation, rivalisierende Banden, zwischenmenschliche Konflikte, Geldnot, aber auch Spaß an Spiel und Spannung, Neugier, Nervenkitzel, die Hoffnung auf nützliche Informationen, Vorwarnungen, materielle Vorteile oder Schutz durch einen starken, unsichtbaren Partner, die Aussicht auf einen deutschen Pass und eine neue Identität. Für den kurzfristigen und schnellen Erfolg sind das perfekte und fast unverzichtbare Ausgangspunkte.
Mit Druck, Erpressung und Nötigung können keine langfristigen und tragfähigen Beziehungen aufgebaut werden. Westliche, auf rechtsstaatlichen Grundlagen basierende Geheimdienste denken immer mittel- bis langfristig, nie kurzfristig. Es bringt nichts, sich
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