"Ich laufe, um zu laufen ...": Eine Frauen-Laufen-Anthologie (German Edition)
neugierigen Blicke der Autofahrer von der Gegenspur bleiben an uns kleben. Stillleben im Kleinbus: Handtücher, Nackenkissen, Wechselsachen, Apfelsaftpaletten, Energieriegel. Stunden später: Campingplatz Auensee in Mittelsachsen – unter säuselnden Birkenblättern tauschen wir, auf zusammengerollten Schlafsäcken sitzend, gegenseitig unseren Proviant aus. Der zu Ende gehende Sommertag hängt duftend in den Büschen.
Und schon steigen wir in unsere Nachtlaufkleidung der besonderen Art: gelbe Leuchtwesten, die im Laufen übergezogen werden und wie Flatterhemden um uns herum zappeln. Leuchtblinken sindungewohnte Accessoires, sie machen uns zu laufenden Warnschildern. Der Asphalt schimmert silbrig-schwarz im Scheinwerferlicht. Dieser Nachtlauf erfordert, unsere Gewohnheiten gegen den Strich zu kämmen. Doch allein das Bewusstsein, bis Coventry zu laufen, verleiht unseren schon müden Schritten ein gewisses Pathos. So wie die Zeiger der Uhr immer weiter laufen, tun es auch unsere Beine.
Die Sporthosen hat Waldemar Cierpinski für uns gesponsert. Eigentlich hatte meine Hose bei der Anprobe wunderbar gepasst, aber nun drückt sie und scheint mir plötzlich zu eng zu sein. Irgendwie, habe ich einen aufgeblähten Bauch. Ausgerechnet jetzt! Mich beschleicht eine Ahnung, die mit jedem abgelaufenen Kilometer weitere Formen annimmt, aber überhaupt nicht in mein „Laufschema“ passt. Können Ahnungen eigentlich zu Selbstläufern werden?
Eng an die westfälische Erde gedrückt, liegen wir am nächsten Abend auf unseren ausgerollten Schlafsäcken und warten auf den nächtlichen Lauf-Einsatz. Über Marienmünster steigt ein Feuerwerk in den Himmel. Ein abgestellter Kühlwagen brummt in rhythmischen Abständen und wir atmen den ruhigen Sommerabend ein. Nicht einfach, am Abendhimmel die Wolken, hinter denen der Mond Verstecker spielt, entlang ziehen zu sehen und sich dabei selbst zur Ruhe zu zwingen.
Bald sind wir wieder auf dem Laufenden, durchbohren die Nacht und damit den Teutoburger Wald. Zwangsläufig denke ich an den Staffellauf anlässlich der Verabschiedung unserer Mannschaft. Alsich auf den letzten Metern beschleunigte, spürte ich ein ungewöhnliches Druckgefühl in den Ohren…
Die Wolken entfliehen der Richtung, in die wir laufen. Könnte dies Wetterbesserung versprechen? Tatsächlich, der Himmel reißt auf. Wer sagt’ s denn: Laufen erweitert, bzw. erhellt den Horizont.
Die Skyline von Rotterdam - ein Donnerschlag in der Stille des endlos flachen Ackerlandes. In die Höhe strebende, klötzerartige Bürohäuser sind der erste Blickfang. Treff mit den Rotterdamer Läufern acht Kilometer vor der Hafenstadt. Jeder kann nun entscheiden, ob er acht,vier oder einen Kilometer vor der Stadt losläuft. Es gibt also dreimal die Möglichkeit, aus den Bussen hinauszuspringen. Noch ein Stückchen fahren wir weiter, bis zu einer Tankstelle. Dort warten wir, bis wir nach einer Weile oben auf dem Hang die Fahnen schwenkenden Läufer entdecken. Jetzt läuft im wahrsten Sinne des Wortes alles zusammen. „Die kleinen Bäche“ vereinigen sich zu einem großen Strom. Mein Körper läuft auf einer anderen Spur. Es drückt und rumort in meinem Bauch. Ich spüre eine gewisse Schwere in mir, irgendeinen Hemmklotz. Mein Bauchgefühl… ja was sagt es mir eigentlich?
Man empfängt uns herzlich im Rotterdamer Rathaus. Aber irgendwie stehe ich immer neben mir, fühle mich schwer und nicht belastbar. Maastadt College Culinair, eine Gastronomiefachschule, verwöhnt uns. Essen in Hülle und Fülle. Ich habe kaum Appetit, zwänge mir nur etwas rein. Werden mir meine Magentropfen helfen? Etwas später: Turnhallenidylle. Handtücher über Stufenbarren. Trinkflaschen und Essbeutel verzieren Sprungkästen. Turnmatten als Schlafunterlage.
Manch einer knabbert verträumt mit Blick auf den gegenüberliegenden Bahnhof an seinem noch heimatlichen Proviant, und das Bild der ankommenden und abfahrenden Züge löst unwillkürlich den Wunsch aus, die gegenwärtige Stagnation bald wieder gegen Bewegung einzutauschen.
Und schon sind wir wieder unterwegs. Holland hat nichts zu verschleiern. So wie man durch die Fenster ins Innenleben der Häuser hineinschauen kann, blickt man in die Landschaft hinein. Es dauert nicht allzu lange, und die Nase schnuppert Salzwasser. Windmühlen, Deiche, Windräder. Vorbei an Getreidefeldern und Backsteinhäusern. Die Deiche, die überdimensionalen Podesten gleichen, bieten neuartigen Läuferboden. Der Wind bläht unsere
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