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Ich lebe lebe lebe - Roman

Ich lebe lebe lebe - Roman

Titel: Ich lebe lebe lebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison McGhee
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Latham, und ich muss auch da durch und finde keinen Weg, der wieder hinausführt.
    »Raus«, sage ich. »Ich will da raus.«
    Ivy ist mit mir verbunden durch Fleisch und Blut und noch irgendetwas, das ich nur spüren kann. So wie sie gefangen ist, bin ich gefangen, ich bin ein Tier in einer Falle, das an sich hinuntersieht und sich das Bein durchnagen würde, wenn es das könnte, aber ich kann es nicht.
    »Ich kann es nicht«, sage ich. Ich schüttle den Kopf. Mehr gibt es nicht zu sagen.
    Wir sitzen im Truck oben auf dem Star Hill. Der Star Hill ist da, wo nachts Gespenster erscheinen, wo unsere Freunde nach Partys oder Bällen hinfahren, um im Auto zu trinken und zu knutschen und auf Gespenster zu warten. Auch Ivy und Joe. Dann habe ich wach gelegen, bis sie mäuschenstill wieder ins Haus kam, mäuschenstill die Treppe hinaufschlich, mäuschenstill ins Zimmer kam, sich mäuschenstill auszog und mäuschenstill zwischen ihre Laken kroch. Dann habe ich wach gelegen, bis ihr mäuschenstiller Atem zu jenem ruhigen, sanften Atem wurde, wie er zu einem mühelos schlafenden Menschen gehört. Der mühelos wach war und ebenso mühelos schlief.
    Hallo, Sie, junger Arzt, der Sie gerade durch den Flur davongehen. Hallo –hören Sie mich? Denken Sie manchmal an meine Schwester? Denken Sie manchmal an meine Mutter, wie sie sich hier im Flur um sich selbst gedreht hat, sich dabei die Ohren zuhielt und die ganze Zeit den Kopf schüttelte, hin und her, hin und her? Können Sie ihre Stimme noch hören?
    »Ich kann mein Mädchen nicht verlieren.«
    Denken Sie noch manchmal daran, was Sie zu ihr gesagt haben?
    »Zu spät«, haben Sie gesagt. »Zu spät.«
    »Hast du nicht gewusst, dass Jimmy verrückt nach dir ist?«, sagt Tom.
    »Aber ich bin nicht verrückt nach Jimmy.«
    »Das weiß ich. Das meine ich ja. Schlafe nicht mit ihm, wenn er dir nichts bedeutet.«
    Schlafen? Ich habe nicht mit Jimmy Wilson geschlafen. Wir haben zusammen auf den Felsen gelegen, unten am Fluss, Fels unter mir, Fels überall um mich herum, harter, unnachgiebiger Fels. Aber tief unter uns verschoben sich unablässig die tektonischen Platten.
    »Brich ihm nicht absichtlich das Herz.«
    » Sein Herz? Ich soll ihm nicht das Herz brechen?«
    »Genau. Lass es.«
    »Wem bricht denn hier verdammt noch mal das Herz?«, frage ich.
    Seine Hand liegt locker auf dem Schalthebel, seine Finger sind entspannt.
    »Ich weiß es nicht«, sagt Tom. »Sag's mir.«
    Plötzlich hasse ich ihn. Ich hasse Tom Miller. Tom Miller mit dem am Hals ausgefransten T-Shirt, den braunen Stiefeln, den Jeans mit dem Loch im Knie. Ich hasse Tom Miller, Tom Miller, der nachts zum Stein auf der Dorfwiese fährt, Tom Miller, der mich mit seinen dunkelgrünen Augen ansieht.
    »Sag's mir«, wiederholt er.
    Er sieht mich immer noch an. Ohne einmal zu blinzeln. Einer meiner Finger streckt sich und zeigt auf mein Herz, mein eigenes, blind klopfendes Herz in meiner Brust.
    »Dann weißt du doch, wie es sich anfühlt«, sagt er. »Dann geh nicht hin, und brich jemand anderem das Herz, bloß weil du hoffst, dass du dich dann besser fühlst. So funktioniert das nämlich nicht.«
    Seine Hand spielt mit dem Knauf des Schalthebels.
    »Aber sie reden über sie. Alle reden sie über sie. Eine lebende Leiche nennen sie sie. So als wäre sie nicht einmal mehr da.«
    Ringsumher senkt sich der Abend über das Tal von Sterns. Die Aussicht vom Star Hill ist die schönste weit und breit, aber ich sehe sie nicht. Alles, was ich sehe, ist ein Mädchen in einem Krankenhausbett.
    »Jimmy Wilson hat nichts zu tun mit dem, was mit Ivy passiert ist«, sagt Tom. »Er hat dir nichts getan.«
    »Wieso kannst du nicht mal aufhören, über Jimmy Wilson zu reden?«
    »Wieso bist du nicht einfach wütend, wenn du wütend bist? Lass es doch nicht an ihm aus!«
    »Er ist ja nicht der Einzige«, sage ich.
    Er sieht mich an. Diese Augen.
    »Warren«, sage ich. »Todd.«
    Etwas flackert auf in seinen Augen. »Tu dir nicht selber weh.«
    »Ich kann mir selber wehtun, solange ich will«, sage ich, und selbst in meinen eigenen Ohren höre ich mich an wie ein Kind.
    »Du bist wütend.«
    »Bin ich nicht. Aber dich hab ich so satt, das kann ich dir sagen.«
    »Sei nicht wütend.«
    »Auf wen sollte ich denn wütend sein?«
    »Das frage ich dich.«
    Die Sonne ist jetzt untergegangen. Unter uns schimmert das Tal von Sterns, es badet in den sanften Blau- und Grau- und Grüntönen der sommerlichen Abenddämmerung. Wie sehr hätte das Ivy

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