Ich lebe lieber hier und jetzt
Serena war selbst farbverschmiert und
zerknittert, aber sie gehörte zu den Mädchen, die in einem Atelier auf dem
Boden schlafen können und sich nach dem Aufwachen nur die Knitter aus der Jeans
schütteln, mit den Fingern durchs Haar fahren und Kirsch- Labello über die
Lippen streichen müssen - et voilä: Instantgöttin.
Sonnenlicht strömte durch die
hohen holzgerahmten Fenster des Ateliers. Von hier oben aus erschien ihr der
Unicampus mit seinen roten Backsteingebäuden friedlich und verschlafen, bis
unten eine Gruppe von Studenten in schlabberigen Jogginghosen mit großen
Thermos- Kaffeebechern in der Hand vorbeischlenderte. Serena ging auf
Zehenspitzen zu ihren braunen Wildlederslippern, die ein Stück weiter weg lagen,
und zog sie an. An der gegenüberliegenden Wand lehnte Christians jetzt
vollendete lebensgroße Version der »Serenas Tears«-An- zeige in Öl. Serena war
nicht ganz klar, weshalb er so viel Grün verwendet hatte, denn das Foto war an
einem verschneiten Februartag aufgenommen worden. Aber trotz des vielen Grüns
fand sie das Bild umwerfend. Und bizarr. Christian hatte eine ganz eigene
Maltechnik, bei der er alles mit einer durchgehenden Linie konturierte. Die
einzelnen Elemente in ihrem Gesicht waren alle miteinander verbunden. Die
Augen mit der Nase, diese wiederum mit dem Mund, und von dort führte die Linie
zum Kinn und wieder hoch zu Wangen, Ohren und Haaren. Das erinnerte ein
bisschen an eine Figur aus »Shrek« - was durch das viele Grün noch verstärkt
wurde. Aber das Bild war trotzdem auf einzigartige Weise schön.
Serena kramte eine Tube
Chanel-Lipgloss aus ihrer Tasche, hob einen Papierfetzen vom Boden auf und
schrieb mit rosa Glitzerschmiere: »Das Grün ist echt cool. Komm mich in NYC besuchen.
Alles Liebe - S.« Sie legte den Zettel neben Christian auf den Boden, griff nach ihrer
Tasche und schlich sich aus dem Raum.
»Adios«, flüsterte sie und drehte sich
noch einmal um, um dem Schlafenden eine Kusshand zuzuwerfen. Sie zögerte. War
es nuttig, sich so ohne Abschied einfach davonzustehlen? Nein, entschied sie.
Sie hatten ja nicht mehr getan, als sich zu küssen und eng aneinander gekuschelt
einzuschlafen. Außerdem war ihr Zettel ziemlich romantisch.
Draußen hupte es laut und
Christian bewegte sich im Schlaf. Serena schlüpfte verstohlen zur Tür hinaus
und die Treppe hinunter. Sie hatte Abschiede schon immer schlimm gefunden, und
wenn Christian jetzt aufwachte, würde sie es niemals nach Yale schaffen.
»Ich liebe dich«, flüsterte
sie, als sie aus dem Gebäude trat. Von ihren Besuchen bei Erik kannte sie sich
auf dem
Campus gut aus und wusste, wo
der Parkplatz lag. Statt auf dem gepflasterten Weg zu gehen, stapfte sie einen
grasbewachsenen Abhang hinab. Hinterher waren ihre Schuhe feucht vom Morgentau
und an ihrer Jeans klebten abgemähte Grashalme. Als sie die am Straßenrand wartende
Limousine erblickte, hatte sie plötzlich ein heftiges Dejä-vu. Hatte sie
wirklich erst gestern Drew vor der Treppe seines Wohnheims zum Abschied geküsst
und war dann in eine Limousine gestiegen, um hierher zu fahren? Hatte sie
wirklich erst gestern zu einem anderen »Ich liebe dich« gesagt?
Ganz genau. Gestern.
Der Fahrer hielt ihr die Tür
auf und sie stieg ein. »Dich liebe ich auch«, entschuldigte sie sich flüsternd
bei Drew, auch wenn er nicht da war. Die Uni-Besichtigung hatte ihr eigentlich
helfen sollen, klarer zu sehen, aber jetzt war sie verwirrter denn je. Wie
sollte sie sich später jemals auf ihr Studium konzentrieren, wenn es an jeder
Universität nur so von Jungs wimmelte, die alle bloß darauf warteten, dass sie
sich in sie verliebte?
Na ja, es gibt immer noch das
Dorna B. Rae College für Frauen in Bryn Mawr, Pennsylvania. Die haben noch
Plätze frei.
der morgen danach - teil 3
»Trink, Schwester. Ertränke den
Kater in Alkohol!«
Blair öffnete mühsam ein
verschwollenes Auge und sah über sich Rebecca, die ein riesiges Glas Bloody
Mary schwenkte - komplett mit Selleriestange, Zitronenscheibe und einem rosa
Plastikflamingo zum Umrühren. Rebeccas blond gefärbte Haare waren frisch
geföhnt, sie trug einen rosa Frottee-Jogginganzug von Juicy Couture und hatte
sich die Augen mit knallblauem Eyeliner umrahmt.
Kater traf es perfekt. Genau so
fühlte sich Blair - wie ein halb toter, räudiger Kater. Sie versuchte, sich
aufzusetzen, und fiel stöhnend auf die aufblasbare Gästematratze zurück. Ihre
Kopfhaut prickelte. Ihre Beine brannten. Sie roch komisch.
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