Ich lebe lieber hier und jetzt
Teller gleiten und schlappte damit ins Wohnzimmer.
Pupser schlief als zusammengerollter Klumpen unter der Decke auf Rubys Futon.
Tiphany legte eine ihrer mitgebrachten CDs in den CD-Player und drehte den Ton
auf. Irgendein lärmiger Aggro-Sound, den Dan nicht einordnen konnte.
Jedenfalls definitiv keine Morgen-Musik. Tiphany tänzelte zu Vanessa hinüber,
packte sie an den Händen, und zu Dans Erstaunen begann Vanessa sofort, wild
herumzuhopsen und ihren Hintern im Takt der Musik zu schütteln.
Hallo?
Vanessa tanzte nicht. Niemals.
Was hatte Tiphany mit ihr angestellt?
Während die Mädchen so
rumhopsten, schlüpfte Pupser unter der Decke hervor und trippelte zielstrebig
auf Dans neue blau-goldene Vintage-Pumas zu, die neben der Wohnungstür standen.
Er schnüffelte kurz daran, drehte sich um, senkte das Hinterteil und pinkelte
los.
»Hey!« Dan sprang zur Tür, um
seine Schuhe zu retten.
»Pupser?« Tiphany tanzte zu dem
Frettchen hinüber. »Ist ja gut, Baby. Komm zu Mami.« Sie kauerte sich hin und
breitete die Arme aus. »Du brauchst keine Angst zu haben.«
Vanessa stellte sich mit rot
getanzten Wangen neben sie. »Mensch, Dan! Hast du ihm Angst gemacht?«
»Nein, ich hab ihm keine Angst
gemacht.« Dan scheuchte das Frettchen mit einer wütenden Handbewegung weg. »Na
los, geh schon zu Mami, kleiner Pisser«, zischte er.
Im Geiste arbeitete er bereits
an einem neuen Gedicht. Es hieß pupser töten.
j kommt bald »groß« raus
»Stellt euch in einer Reihe
auf! Der Größe nach, bitte!«, brüllte Andre, der Assistent des Fotografen.
Es war Sonntag, elf Uhr
vormittags, und Jenny wartete schon seit etwas über einer Stunde im Studio,
nachdem sie um sechs Uhr aufgewacht war und drei Stunden zum Fertigmachen
gebraucht hatte. Sie hatte geduscht, sich die Haare geföhnt und sich geschminkt
- zweimal. Beim ersten Mal hatte sie es massiv übertrieben, und der zweite Versuch
war so gründlich danebengegangen, dass sie danach vernünftigerweise
entschieden hatte, die Haare an der Luft trocknen zu lassen und ungeschminkt
loszugehen - wozu gab es schließlich Visagisten?
Die Aufnahmen fanden in
demselben Studio statt wie das Go-see. Der weiße Wandschirm und die rote Chaiselongue
waren verschwunden, stattdessen lag diesmal ein riesiges Stück Kunstrasen auf
dem Holzboden. Quer durch den Raum war ein Volleyballnetz gespannt. Bei ihrer
Ankunft hatte Jenny festgestellt, dass sie nicht die Einzige war, die
fotografiert werden würde. Außer ihr waren noch fünf weitere Mädchen gekommen,
die alle wie... Models aussahen. Die Stylistin hatte ihr einen blauen
Lycra-Sport- BH von Nike und dazu passende Shorts in die Hand gedrückt. Dann
hatte sie Jennys Haare zurückgekämmt, ihr einen Pferdeschwanz gebunden und
etwas transparentes Lipgloss auf den Lippen verteilt. Die Vorbereitungen deuteten
mehr auf Sportunterricht als auf ein Fotoshooting hin, aber dann hatte Jenny
gesehen, dass die anderen Models genauso gestylt waren.
»Ihr sollt euch der Größe nach
in einer Reihe vor dem Netz aufstellen, hab ich gesagt«, nörgelte Andre. »Beeilung,
Mädchen! Menschenskinder, das kann doch nicht so schwer sein!«
Da Jenny immer die Kleinste
war, postierte sie sich am Ende der Reihe neben einem flachbrüstigen Mädchen,
das auch nur ein paar Zentimeter größer war als sie. Aber Andre kam sofort auf
sie zugestochen, packte sie am Arm und zerrte sie genau ans andere Ende, wo ein
sehr großes Mädchen stand, dessen Busen fast so riesig war wie ihrer. Er
ordnete auch die anderen neu, bis er schließlich zufrieden schien.
»Okay, gut so!« Der Fotograf
eilte auf seinen stämmigen kurzen Beinchen näher und strich nachdenklich über
sein Ziegenbärtchen, während er die aufgereihten Mädchen begutachtete. »Legt
euch mal gegenseitig die Arme um die Taille«, kommandierte er.
Sie gehorchten.
Er schüttelte den Kopf. »Das
ist nichts. Sieht zu sehr nach Cheerleader aus. Geht mal ein Stück auseinander
und stemmt die Hände in die Hüften. Beine breit!« Er nahm die Kamera hoch und
spähte hindurch. »Schultern zurück. Kinn hoch. Gut so!« Er begann zu knipsen.
Jenny gab sich große Mühe, so
forsch und kraftstrotzend auszusehen, wie sie sich das ideale Nike-Model vorstellte.
Okay, sie hatte vielleicht nicht den athletischen
Körperbau einer Freeclimberin
oder Marathonläuferin, aber den hatten die anderen Mädchen auch nicht.
»Wofür sind die Fotos
eigentlich?«, flüsterte sie ihrer Nachbarin zu.
»Für
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