Ich lege Rosen auf mein Grab
hab!»
«Hier ist keine Krankenkarte!» wiederholte der Sani, und sein pausbäckiges Eunuchengesicht hatte sich schon im Zorn gerötet, bevor Jossa darauf antworten konnte.
«Dann ist sie eben geklaut worden!»
«Ich bin erst seit gestern hier und weiß von nichts!»
Die Ärztin entschloß sich, pragmatisch zu sein. «Wir messen jetzt mal Puls, Blutdruck und Gewicht. Das andere kann Ihr Anstaltsarzt entscheiden, wenn er wieder da ist, ich bin ja lediglich die Urlaubsvertretung, und daher…»
Sie machte sich ans Werk, und der Sani trug alle Werte fein säuberlich in eine neu angelegte Krankenkarte ein, auf die er oben in der Kopfleiste mit wunderschönen antiken Druckbuchstaben den Namen Mugalle, Martin schrieb beziehungsweise malte.
Jossa wußte, daß sein Namenswechsel damit wiederum ein Stückchen amtlicher geworden war, doch konnte nichts dagegen unternehmen, entlud seinen Frust über den bis jetzt nur nach hinten losgegangenen Schuß lediglich in der Forderung nach Vitamintabletten.
«Essen Sie doch das Obst, das Sie kriegen!» erwiderte die Ärztin.
«Ich befinde mich im Hungerstreik!»
«Zwingt Sie doch keiner dazu!»
«Doch: die Anstalt hier, weil niemand mir abnimmt, daß ich Jens-Otto Jossa bin und nicht Martin Mugalle!»
«Möchten Sie denn einem Psychiater vorgestellt werden?»
«Nein! Weil ich so normal wie nur irgend möglich bin! Aber die andern hier, die sind doch alle verrückt!»
«Typisch…» murmelte die Ärztin, und Jossa wußte genau, was sie damit meinte.
Er stöhnte auf, konnte aber gut verstehen, warum sie sich so und nicht andres verhielt. Klar, daß sie ihn für einen Spinner halten mußte. Sie kannte weder Mugalle persönlich, noch hatte sie ihn, Jossa, vorher gesehen. Nach Lage der Dinge, das heißt, bei dem hohen Maß an psychischen Erkrankungen, die der Knast produzierte, mußte sie ganz einfach annehmen, daß hier wieder einer verrückt geworden war, warum auch immer.
«Kann ich denn nicht wenigstens ein Abführmittel haben», bat Jossa noch. «Daß ich nicht scheißen kann, quält mich am meisten.»
«Sie brauchen nur Ihre normale Kost zu sich zu nehmen, um wieder regelmäßig Stuhl zu haben!»
Jossa wurde in seine Zelle zurückgeschlossen, und während ihn nun doch der Hunger zu quälen begann, sah er wieder Martin Mugalle, wie der am Werke war, seine Freiheit zu nutzen, schrieb das Drehbuch zur nächsten kleinen Szene.
Variante 4/I
Brammer Moor, 220 qkm, rund gerechnet, mit nichts weiter als Nebelschwaden, Sümpfen, Wiesen, Feldern, Gräben und sogenannten Knicks. Die Höfe weit verstreut, die Fachwerkhäuser Jahr für Jahr um Zentimeter tiefer sinkend, dem Sog des Moores ausgeliefert, und Winkel gab es hier, da konnte schon einer bis hin zum Wahnsinn schreien, ohne daß man ihn hörte. Dennoch hatte Mugalle dem anderen, dem Diplom-Kaufmann und Dr. rer. pol. Armin Lenthe, einen Knebel in den Mund gesteckt, als er ihn jetzt von der Straße weg über die klebrig-feuchte Wiese trieb, seine Heckler-&Koch MP-5-SD schußbereit gehoben. Lenthe hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben, denn Mugalle hatte ihm die Hände hinterm Rücken zusammengebunden.
Sie kamen immer weiter in das Moor hinein, schmaler wurden die Pfade, und es lief sich schlechter als auf einem schlaff gespannten Trampolin. Wasser schwappte ihnen in die Schuhe, und Lenthe, so elegant gekleidet wie auf seinen letzten Fotos, siehe manager magazin 4/87, stürzte ein ums andere Mal über glitschig-grüne Buckel aus Gräsern und Moos.
«Links rüber!» rief Mugalle.
Dr. Lenthe blieb stehen.
«Los!» Mugalle fühlte sich sicher genug, zwei Schüsse abzugeben, zumal gerade zwei NATO-Düsenjäger schallmauerdurchbrechend über die Tiefebene fegten.
Wasser spritzte auf, kreischend und mit wilden Flügelschlägen stoben Enten und andere Vögel davon.
Lenthe war zur Seite gesprungen, genau auf jene trügerische Matte aus grünem Geflecht, unter der nichts weiter war als Schlamm und nochmals Schlamm, und als sie nun wie ein dünnes Seidentuch zerriß, da umfaßte der gierige Gott aller Moore Lenthes Beine mit seinen vieltausendfachen Saugnäpfen, entschlossen, seine Beute auf ewig nicht mehr freizugeben.
«Du hast mich verraten», sagte Mugalle. «Durch deinen Meineid hab ich meine drei Jahre Bau bekommen…! Auf meine Kosten hast du dich aus’m Schlamassel rausziehen wollen; mit dem falschen Eid! Da drüben im Knast, da hab ich gesessen! Herrlich, du! Und wenn sie nachher in der JVA die
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