Ich lege Rosen auf mein Grab
habe. Aber so kann mich nie und nimmer jemand verdächtigen, einen gewissen… Doch lassen wir das.»
Jossas Brust zog sich zusammen, ein Infarkt schien nahe, und er hatte große Mühe, Luft zu holen, brauchte lange, sich die Bronchien freizuhusten, begriff es und begriff es wieder nicht, was da geschah.
«Was denn nun?»
Jossa stand auf und trat ans offene Zellenfenster, umschlang die Gitterstäbe. «Was soll jetzt werden?»
«Ganz einfach…» Mugalle fing schon an, sich auszuziehen, legte Jossas Lederweste ab. «Das Rad unserer Geschichte wird eins-zwei-drei zurückgedreht: Sie werden wieder Jossa, ich Mugalle. Sie nehmen Ihren Ausweis und die Besucherpappe hier und kehren heim zu Tisch und Bett, ich bleibe hier und sitze meine Strafe ab, zu Recht jetzt wohl…»
Eine Knappe halbe Stunde später stand Jossa auf dem Parkplatz draußen, ließ den Motor seines Wagens aufheulen und jagte nach Bramme zurück.
Ein Alptraum war zu Ende.
«Lieber Prof. Lachmund, meine letzte Hoffnung sind Sie! Die ganze Welt kann doch nicht plötzlich verrückt geworden sein! Ich komme als Reporter in die JVA Bad Brammermoor, werde von einem Häftling mit K.o.-Tropfen betäubt und dann mit seiner Kleidung etc. in der Zelle zurückgelassen, während er als Jens-Otto Jossa das Weite sucht. Nun glauben alle hier, ich sei dieser Martin Mugalle (ein verkrachter Bankier und Finanzmakler, wie Sie sich vielleicht anhand seines damals sehr spektakulären Prozesses noch erinnern werden). Und dabei geht es mir wie einem, der ins Moor geraten ist: Je mehr ich strampele, also beteuere, daß ich Jossa und nicht Mugalle sei, desto tiefer sinke ich ein. Bitte, helfen Sie mir! Sie sind doch Jurist und einer, der weiß, wer in diesem Falle alles mobilisiert werden muß. Mit ein wenig Ruß füge ich den Abdruck meines rechten Daumens bei; vielleicht hilft Ihnen das. Ich versichere Ihnen immer wieder, daß ich geistig völlig gesund bin, ich, Jens-Otto Jossa!»
Er schrieb dies auf den Knien, saß wieder einmal auf dem Klo.
Hungerstreik, zehnter Tag. Zwölf Kilo an Gewicht verloren, Puls niedrig, aber stabil, Blutdruck o.k.
Dann weinte er, war trauriger als ein Kind, daß sein geliebtes Kuscheltier verloren hatte, Regression, trauriger als Orpheus, als jeder andere Held in seiner Tragik. War so einsam wie jener Mensch, der weiß, daß alle außer ihm dahingegangen sind, atomar vernichtet, schrie vor Angst, sprang auf und lief gegen die Wand, wollte eins werden mit ihr, sterben, auch Materie werden, tot, anorganisch und völlig gefühllos wie sie.
Krank war er. Tickte nicht mehr sauber. Hatte seine Macke weg. War nicht mehr ganz dicht. Hatte geglaubt, Mugalle würde hier in seine Zelle kommen und den «Rücktausch» in die Wege leiten. Irrtum. Irgendein Soziologe war es gewesen, auch er, wie Jossa immer, im neuen Einheitslook aller öko-intellektuellen Knallchargen.
Dieses Stückchen Selbstironie ließ ihn wieder zu sich kommen, die nötige Distanz gewinnen, cooler werden, und vollends fing er sich wieder, als nun Nobby erschien und ihn andröhnte.
«Wo is’n nu der Brief für Lachmund?»
«Hier…» Jossa reichte ihn zu Nobby hinauf. «Wie willsten das machen, daß er den…?»
«Meine Sache!»
Nobby hatte für morgen Ausgang bekommen. Sein Vater war gestorben, und Zweeloo hatte ihm erlaubt, an der Beisetzung auf dem Matthäi-Friedhof teilnehmen zu dürfen, von drei Beamten bewacht.
Der Preis für das Herausschmuggeln dieses Kassibers war nicht eben niedrig: Neben drei Koffern (Päckchen) Tabak aus Mugalles alten Beständen hatte er fünftausend Märker verlangt, zahlbar in zweieinhalb Jahren, nach beider Entlassung.
«Dann werd ich mal ‘ne Fliege machen!» Nobby sah Kassau kommen und empfahl sich schleunigst.
«Viel Glück!»
«Können, mein Lieber!»
Kassau hatte die Weisung, Jossa dem Anstaltspsychologen vorzuführen. «Dr. Seeling möchte mal sehen, was man mit Ihnen machen kann, Mugalle…!»
«O Gott, unser Anstalts-Jesus auch noch!»
«Seeling sind die Bekloppten!» lachte Kassau mit altem Fliegerhumor, auf den Kollegen von der Couchler-Zunft gar nicht gut zu sprechen. «Warum werden die denn alle Psychologen? Nur um sich besser selber behandeln zu können!»
«Psychologen und Psychiater, das ist zweierlei», belehrte ihn Jossa, hatte mal in Hannover einen Artikel darüber geschrieben.
Als er dann dem Mackendoktor, so der Anstaltsslang, in dessen Arbeitszelle gegenübersaß, war ihm gar nicht mehr zum Lachen zumute, denn
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