Ich lege Rosen auf mein Grab
ablaufen.
Wie unwahrscheinlich war das alles, wie wahrscheinlich? Die besten Geschichten, so sagte man ja, schriebe immer das Leben, und waren denn nicht die Ereignisse im politischen Raum, siehe Watergate und vieles andere, mitunter so absurd-phantastisch, daß es kein Schreibender gewagt hätte, so etwas zusammenzuspinnen und als Drehbuch vorzulegen. Eine charismatische Mutterfigur wie die Klein, seine Gardy von damals, konnte, richtig eingesetzt, eine Republik verhindern helfen, die sich im kleinen Bürgerkrieg zerfleischte, konnte also Hunderttausenden von Bürgern die Existenzen sichern helfen, das Leben retten. Ein Zweck, der ganz bestimmt das Mittel heiligte, ihn dafür zu opfern, ihn, den kleinen Jossa. Das war doch einsehbar und legitim.
Nein und abermals nein! Nicht in dieser Republik, wenn auch die Sitten immer mehr verwilderten.
Was war die Wahrheit, und warum lag er hier, zum Mugalle gemacht, warum trieb er nicht im Fluß, durfte weiterleben als der Mensch, als der er auf die Welt gekommen war.
Wo bin ich, wer bin ich, was bin ich? Bin ich in meiner Wohnung, bin ich im Knast? Mugalle, Jossa; wer bin ich denn nun wirklich?
In einer Kultur konnte nichts, erkannte er, von vornherein als sicher gelten, als absolut, fest stand nur, was man für feststehend hielt, per Glauben und Gesetz. Wenn ich weiß, sagte er sich, daß ich Mugalle bin, bin ich Mugalle. Wenn ich aber überzeugt davon bin, Jossa zu sein, dann bin ich auch Jossa.
Der schönste Stern vor seinem Fenster hieß nicht von Natur aus Capella, mochte bei anderen Intelligenzen auch hundertfach andere und variierte Namen haben; und er war er, egal, ob sie ihn nun Mugalle oder Jossa riefen.
«Heh, Mugalle, du kannst jetzt duschen!»
Kassau hatte seine Tür aufgerissen, und prompt war er vom Bett geglitten, ganz schon wie ein Pawlowscher Hund.
Duschen mußte sein, obwohl er sich die ganze Woche über davor ekelte. Dicht gedrängt die Männerkörper, einander berührend, die Enge. Immer wieder wurde man betatscht, mußte um sich schlagen, sich Respekt verschaffen und überdeutlich zu verstehen geben, daß man so nicht wollte. Leicht angehaucht waren welche, Tunten, Tucken und Strichraben dabei, und er hatte Mühe herauszufinden, wer ein Schnatterheini war, also sexuellen Mundverkehr praktizierte, Freier oder Trippelliese, Homosexuelles suchte oder anbot. Doch das alles hatte er sich schlimmer vorgestellt, gezwungen, vergewaltigt wurde hier keiner, insbesondere Leute nicht, die ein so hohes Image wie Mugalle hatten.
Trotzdem, es war auch so widerlich genug für einen Menschen seiner Schicht und Lebensweise. Und dann das ganze Ambiente: Angefault die Hocker, locker die Fliesen mit schönsten Pilzkulturen in den Ritzen, die Seifenschalen, total vom Rost zerfressen, scharf wie eine Säge. Und wenn man sich an ihnen nicht ratschte, dann garantiert an den Resten der Trennwände, die wie Spieße aus dem fleckigen Mauerwerk ragten. Immer wieder stürzten welche, wurden kreischend aufgefangen, denn das Schmutzwasser stand knöchelhoch am Boden, und viele hatten ihre Seife, anfangs zwischen die Beine geklemmt, lange verloren.
Nobby führte hier das große Wort, kündigte Bambule an, wenn man ihm, wie er es beantragt hatte, die Ausführung in ein Brammer Bordell abermals verweigern sollte. Er habe ein Recht dazu, und ein Beamter als Aufpasser müßte sich doch auch noch finden lassen.
Wieder in seiner Zelle zurück und bis zur zweiten Arbeitsrunde eingeschlossen, machte er sich daran, in Mugalles Hinterlassenschaften zu schnüffeln. Die Neugier war ja sein Beruf, darüber hinaus hoffte er noch immer, in diesen Sachen einen Hinweis darauf zu finden, warum dies alles so war, wie es war: er hier, der andere draußen.
Er stellte sich vor, daß Mugalle bei ihm zu Hause im Apartment in der Fährgasse am Schreibtisch saß, eben in dieser Sekunde; und er hatte recht damit.
Martin Mugalle frei in Bramme III
Martin Mugalle saß an Jossas Schreibtisch und war mit Eifer dabei, auf der Rückseite eines Vormelders, mitgebracht aus Brammermoor, einen Abschiedsbrief zu schreiben.
«Meine liebe Chantal,
nur schnell ein paar Zeilen, von denen ich hoffe, daß kein Polizist, kein Geheimdienst sie zu lesen bekommt, aber ich habe es einfach nicht geschafft, Dich telefonisch zu erreichen.
Soviel in aller Kürze: Mir ist es endlich gelungen, aus dem Knast herauszukommen. Im Augenblick bin ich quasi untergetaucht. Es macht mir aber einige
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