"ich lerne: gläser + tassen spülen": Briefe 1923?1956 (German Edition)
»Ich bekomme meine Gedanken nicht in eine richtige Ordnung, es ist auch nicht geordnet, was in meinem Kopf vorgeht.« Später halten sie schriftlich Verbindung, wenn der Ensemblealltag Dutzende Entscheidungen pro Tag abverlangt; neben den Besprechungen, Telefonaten, im Auftrag verfaßten Briefen ist die direkte Korrespondenz nur ein Bruchteil des gewaltigen Organisationsbetriebs.
Helene Weigels Anteil an diesen Briefen umfaßt lediglich ein Viertel. Vor Oktober 1951 liegen von ihr an ihn überhaupt nur fünf Briefe vor. Alles andere muß als verloren gelten. Aber auch bei Brecht gibt es empfindliche Lücken. Aus manchen Jahren ist nicht ein Brief überliefert. Während für die Zeit um 1929/30, als Helene Weigel politisch aktiver alsBrecht war, die Briefe wohl verschollen sind, ist es nicht ausgeschlossen, daß zwischen 1939 bis 1942 – die Familie verläßt Dänemark, lebt in Schweden und Finnland, reist durch die Sowjetunion in die USA – kaum Briefe zwischen Brecht und Weigel gewechselt werden, weil alle Angelegenheiten mündlich zu regeln sind.
Die Überlieferungsgeschichte spiegelt das Schicksal der Korrespondenzpartner. Die Weigel bewahrt die Briefe ihres Mannes sorgfältig auf. Sie steckt sie in Umschläge und schreibt »London / März April Mai Juni« darauf und »New York Mai Juni 45« oder »Bert / Herbst 46«. Es nützt nichts. »Liebesbriefe Brecht an Weigel sind verlorengegangen (teilweise auf Klopapier geschrieben)«, notierte Hertha Ramthun, die Mitarbeiterin des Brecht-Archivs, nach einem Gespräch mit Helene Weigel im Oktober 1962. »Sie befanden sich in der blauen Schachtel, die Weigel in Schweden zurückließ. Die blaue Schachtel, die auch Briefe etc. der Kinder enthielt, wurde später Brecht zurückgegeben und befindet sich bei Ruth Berlau in Verwahrung.« Von dort sind sie nie wieder in die Hände der Empfängerin gelangt, auch wenn Hans Bunge Teile der Korrespondenz wenigstens als Kopie ins Brecht-Archiv holen konnte. Die Originale betrachtet Brechts Mitarbeiterin und Geliebte als Faustpfand. So erlebt es zumindest Uwe Johnson, der Ruth Berlau im August 1965 zu seiner Edition von Brechts Nachlaßfragment Buch der Wendungen befragen will. Für seinen Verleger Siegfried Unseld protokolliert Johnson den Besuch bei Berlau: »Sie behauptet, es seien ihr fünf Briefe gestohlen worden, und auf die Frage nach dem Täter: es seien sieben Prozesse gewesen; diese Briefe habest du für die Erben zum Preis von viertausend Mark zurückgekauft, also kenntest du den Preis. Ich versuchte ihr dein Gebot von fünftausend klarzumachen. Sie konnte die eintausend nicht vergessen und bat mich, mit dem irren Lächeln wie es in den Lehrbüchernsteht dir zu sagen, alle Briefe seien verbrannt, in den Ofen geworfen. Sie hat da Zentralheizung.« Die Briefe bleiben ein Spekulationsobjekt. In den neunziger Jahren sind sie auf dem Antiquariatsmarkt präsent. Nach und nach wird der größte Teil zugänglich. Zuletzt die Briefe, die Brecht aus New York nach Santa Monica richtet; sie sind 1949 in der Schweiz geblieben und tauchen erst 1999 im Nachlaß des Zürcher Vertrauten Victor N. Cohen auf.
Die Lücken führen dazu, daß die Briefe selten aufeinander reagieren. Was erhalten ist, zeigt sich jedoch unmittelbar auf das Gegenüber bezogen, noch in der kürzesten Notiz. Es sind Briefe von Theatermenschen, für die das Adressieren zentral ist. Selbstreflexionen sind die Ausnahme. Helene Weigel, die ihr »Nicht-Schreiben« als ein »altes eingefressenes Laster« bezeichnet, ist in den Briefen an Brecht direkt, witzig und dabei von einer zurückhaltenden, aber charmanten Zärtlichkeit. Ihre Schilderungen von Proben und Aufführungen, die Unmittelbarkeit, mit der Probleme angegangen werden, verraten die begnadete Schauspielerin und gewiefte Intendantin.
Seinen Briefen gelingt es nicht immer, das Rapporthafte abzustreifen. Er hält sie auf dem laufenden über seine Tätigkeiten und Begegnungen, ohne immer die Karten auf den Tisch zu legen. Und er braucht sie, wenn er unterwegs ist, eben oft als eine Art Sekretärin, die ihm Adressen mitteilt, verlorene Papiere besorgt, Korrekturen in Manuskripte überträgt, Bücher sendet und Anrufe erledigt. Nur selten erschöpfen sich die Mitteilungen jedoch in den Anlässen. Immer gibt er ein Wort mehr als nötig – eine kleine Aufmunterung, die wiederholte Bitte, seine Frau möge auf sich achtgeben, die Skizze einer Begebenheit, eine Sottise über Bekannte. Und er sorgt sich um
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