Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können
dann gemütlich. »Ach Baby, jetzt bist du wieder apokalyptisch.«
Es ist nicht einfach, ein Paar zu sein in Begleitung eines kleinen Autisten. Es gibt nichts an der Situation, das zu idyllisieren oder zu verharmlosen wäre. Sie schlafen nicht viel, das ist schon einmal das Erste. Und es ist etwas sehr Grundlegendes. Das Leben kann ausgesprochen überanstrengend und düster zu wirken beginnen, wenn man ständig übermüdet ist, die Gereiztheit steigt, die Nerven werden dünn. Es mag Nächte geben, in denen Sie durchschlafen und das Kind bis sechs Uhr morgens still ist. Aber Sie wissen nie, ob die nächste Nacht so eine Nacht sein wird. Oder die übernächste. Oder irgendeine in der kommenden Woche. Es gibt keine Gewissheit und von daher keine echte Entspannung.
Ich versuchte das Problem kurzfristig zu lösen, indem ich uns vom Psychiater ein neues Medikament für Simon verschreiben lieÃ. Er nahm ja schon seit Jahren ein Antipsychotikum. Der Beipackzettel war und ist der blanke Horror; Sie wollen nicht wissen, was für Nebenwirkungen das Zeug hat. Jahrelang hatte ich mich deshalb jeder Medikamentation verweigert, trotz Simons Schlafverhalten. Anfangs hatten die Ãrzte das auch angemahnt: lieber erziehen, hieà es, als sedieren. Dann, als die Jahre vergingen und sich abzeichnete, dass wir kein bloÃes Erziehungsproblem hatten, war ich selbst diejenige gewesen, die zögerte, weil ich mein Kind nicht vergiften wollte, bloà weil ich zu schlafen wünschte. Die Beipackzettel, wie gesagt, trieben einem den Schweià auf die Stirn. Schon beim gängigen Dipiperon-Saft, der viel in Heimen gegeben wird, hatte sich mir der Magen umgedreht, wenn ich las, was alles geschehen konnte. Monatelang hatte das Fläschchen zu Hause ungenutzt auf dem Fensterbrett herumgestanden, ein Fetisch, an den man sich klammern konnte, um sich nicht so ausgeliefert zu fühlen: Ich könnte ja Abhilfe schaffen, wenn ich wollte. Notfalls, und wenn es gar nicht mehr geht ⦠Aber nie hatte ich ihn eingesetzt.
Während Simons Einschulungskrise war es dann so weit gewesen, als klar war, dass er einfach zu wenig schlief, um auf Dauer gesund zu bleiben, dass er einfach keinen Frieden fand und selbst unter dem Schlafmangel und der Erregung massiv litt. Ich hatte zu der angestaubten Flasche gegriffen und uns voll eingeschenkt. Dann stellte sich heraus, dass Dipiperon bei Simon nicht wirkte! Auch das nächste Mittel auf der Liste nicht. Und das übernächste. Der Beelzebub, mit dem wir den Teufel hatten austreiben wollten, versagte glatt.
Bei Autisten ist das manchmal so, ihre Stoffwechsel sind einfach zu verschieden; es gibt welche, bei denen schlagen nicht einmal Narkosen an. Eine Weile half Tavor, manchmal gegeben und in kleinen Dosen, nur mit Vorsicht, da es bekanntlich süchtig macht. Aber seit Christian bei uns lebt und Jonathan fort ist, dazu die Schulsituation alles unter Spannung setzt, turnt Simon samt Tavor bis Mitternacht auf seinem Schaukelstuhl herum und schreit: »Du hast es mir weggegessen.«
Christian überlegte ernsthaft, ins Hotel auszuweichen, um endlich zu genügend Schlaf zu kommen, um seinen Schulalltag zu bestehen. Also lieà ich Simon etwas Neues verschreiben. Meditierte drei Tage lang über der Liste der Nebenwirkungen, fragte mich, ob ich ein Egoist sei. Beschloss dann, dass ich diese Beziehung nicht auch noch verlieren wollte, und gab Simon die Tropfen. Danach schlief er, wenngleich nicht gut, ein, er murmelte lange und wanderte viel, manchmal fand ich morgens alle Lichter in der Wohnung angeschaltet vor. Eine Weile schlief er mit den neuen Tropfen zuverlässig durch bis morgens 6.30 Uhr. Dann traten Nebenwirkungen auf, das Kind wirkte depressiv, erwachte morgens verzweifelt weinend. Wir setzten die Tropfen ab und kehrten zu Tavor zurück, mit erhöhter Dosis.
Das Ergebnis ist wechselnd. Wann die Wirkung endgültig nachlässt? Was beim nächsten Vollmond passiert, der immer eine Sondersituation bewirkt, da Simon zum Werwölfchentum neigt? Sicher wissen kann man es nie.
Man weià überhaupt nicht viel: Wird der Nachmittag ruhig verlaufen, so dass Christian, der Lehrer ist, nebenbei seine Korrekturen machen kann, oder wird Simon einen Anfall bekommen und werden alle Zeichen auf Krise stehen, so dass mein Freund erstens wegen der Unruhe und zweitens wegen seiner aufgewühlten Partnerin und der Gespräche über die ewigen
Weitere Kostenlose Bücher