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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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praktisch nicht existent gewesen war. Schließlich erfuhr ich vom Stammtisch der Krimiautoren Mittelfrankens und beschloss, auch dort einmal professionelle Luft zu schnuppern. Hier traf ich Christian, der ebenfalls das erste Mal dabei war und dessen Debütkrimi in den nächsten Tagen erscheinen sollte. Es ging mir gerade gut, vielleicht war das zu spüren, war da ein Funke, war ich da .
    Wir wechselten an diesem Abend kaum ein Wort; später drei Mails, telefonierten zwei Stunden lang. Danach war im Grunde alles klar. Und ist bisher klar geblieben, über alle Krisen hinweg, von denen wir nicht wenige hatten und haben, vor allem, seit wir zusammengezogen sind. Kein Mensch hat es je geschafft, mir so sehr das Gefühl zu geben, vollkommen verstanden und angenommen zu werden, auch und gerade mit meinen speziellen Verwundungen. Noch nirgendwo habe ich mich so sehr zu Hause gefühlt. Zugleich schafft es niemand so gut wie er, mich rasend wütend zu machen und auf emotionale Achterbahnfahrten zu schicken. Wir lachen, wir reden, wir streiten, wir feiern, wir schmollen. Nach all den Jahren, in denen es mir zur zweiten Natur geworden war, meine Gefühle zu unterdrücken, war dieses Auf und Ab eine neue, aber in Teilen auch heilsame Erfahrung. Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, dass es ein Ausdruck meiner Lebendigkeit war. Dieses emotionale, durchaus nicht immer souveräne und wohltemperierte Bündel, das war ich.
    Es erstaunte mich ja selbst, zu erfahren, wie schnell und stark meine Gefühle auffahren konnten. Dass sie überhaupt da waren! Dass ich nicht nur die nette Frau Korber war, die sich so selbstlos um ihren Sohn kümmerte. Da gab es noch ganz andere Seiten. Auch dunkle, auch aggressive. Und endlos todessüchtige, traurige. Christian nennt sie meine apokalyptischen. Und er kann sie aushalten.
    Kurz: Ich war nicht irgendeinem Mann begegnet. Sondern dem einen, für den ich – wie es schien – gemacht war und er für mich. Aber war er auch für Autismus gemacht worden?
    So glücklich ich war, die Apokalyptikerin in mir entdeckte sofort den Tragödienstoff, der in dieser Konstellation steckte. Sofort überkam mich die finale Angst, nämlich die vor dem Verlassenwerden, potenziert durch die mögliche Variante, trotz großer Liebe verlassen zu werden, loslassen zu müssen, was mein ganzes Glück ist, weil die Gesamtsituation einfach zu belastend war. Das klingt ein wenig melodramatisch, war als Möglichkeit aber nicht von der Hand zu weisen.
    Es gab nichts zu tun, als die Angst einfach ganz weit nach hinten zu schieben und den Deckel draufzudrücken. Manchmal flammte sie auf, wenn kleine Bemerkungen fielen, wie etwa: »Das hatte ich mir einfacher vorgestellt.« So harmlos und berechtigt der Satz war, so erwartbar auch – bei mir schrillten sofort alle Alarmglocken. Ich dachte: Jetzt, jetzt kommt’s. Jetzt sagt er, dass wir noch mal über alles nachdenken sollten. Dass er es einfach nicht packt.
    Oder wenn er laut überlegte, ein Zimmer in der Nähe seiner Schule anzumieten, um manchmal einfach schlafen und in Ruhe korrigieren zu können: Eine gute, praktikable Idee war das, nichts weiter, angesichts der Tatsache, dass Simon oft um drei oder fünf Uhr schon durchs Haus marodierte. Aber für mich bedeutete sie sofort den Anfang vom Ende, den leisen, schrittweisen Ausstieg aus unserer Beziehung, vor dem ich mich so fürchtete. Dann musste ich die aufsteigende Panik unterdrücken und mich sehr bemühen, vernünftig zu reagieren. Oft gelang das erst im zweiten Anlauf.
    Manchmal, wenn es schwierig wurde, war ich fast versucht, es von mir aus zu beenden, damit das Hoffen und Bangen endlich vorbei war. Es aufgeben, zwei Leben führen zu wollen, als Mutter und Frau, nicht mehr der Anstrengung hinterherzulaufen, zur Normalität zu gehören mit ihren Paarbeziehungen und der Beziehungsarbeit und dem Lächeln für die anderen und dem täglichen Frühstück für alle und der notwendigen Ausgeglichenheit. Dann sagte ich mir, ich hätte die Kraft nicht dafür. Also raus da, aufgeben, Schluss machen, ehe es der andere tat, die Lebenskreise verkleinern, in denen ich umherirrte, immer weiter verkleinern, Ruhe finden.
    Alles wäre wieder klar, nur noch Simon, ich, die Pflicht und in weiter Ferne das Hochhaus, von dem ich irgendwann spränge. Etwas Besseres fiel mir nie ein.
    Â»Spinnst du«, sagte mein Freund

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