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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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Fragen, was jetzt schon wieder los ist und was man tun könnte, keine eigene Arbeit gebacken kriegt?
    Werden Sie zu Hause Frieden vorfinden, oder brennt die Bude? Täglich spannende Fragen. Entspannend dagegen ist es selten.
    Denn: Sie sind nie alleine, es sei denn, das Kind ist gerade bei seinem leiblichen Vater. Immer steht es im Zimmer, von kurzen Phasen abgesehen, die es sich an seiner Playstation vergnügt. Egal, ob Sie flirten, schmusen oder streiten, kochen oder über ein neues Buchprojekt reden, Ihre bescheidene Amour fou zu leben versuchen, über Freunde lästern oder die Einkäufe planen: Simon ist dabei und fordert Beachtung.
    Er scheint nie auf die Situation, die er vorfindet, zu reagieren, so dass man in Versuchung gerät, zu reden, als sei er nicht da. Was sich, da er große Ohren hat und alles aufnimmt, schnell negativ auswirken kann. So lief er neulich wieder tagelang im Kreis, schüttelte die Hände und fragte: »Bist du nett? Bist du nett?« Offenbar voller Sorge, ich könnte es nicht sein. Bis ich ihn zwang, sich hinzusetzen und mir zu tippen, was »nett« denn für ihn bedeutete. Und er tippte: »dass ich nicht ins Heim muss«. Zuvor hatten wir über die Möglichkeit gesprochen, ihn in den Ferien mal zwei Wochen in Verhinderungspflege zu geben. Damit mal ein Urlaub möglich wäre. Hatte er also doch zu gut zugehört.
    Seine mangelnde Empathie bedeutet aber auch, dass er nie Rücksicht nimmt, sich vielleicht mal zurückhält oder anpasst, wenn es geraten wäre. Wenn er da ist, steht er auch meist im Mittelpunkt. »Ich will Spaghetti«, verlangt er lautstark mitten in eine Umarmung hinein. Oder unterbricht einen Satz mit der Idee: »Ich will einen Ausflug machen.« – »Kannst du mir helfen?« – »Gib mir die Dose.« – »Ich muss mal.« Für jede kleine Verrichtung braucht er Hilfe und unterbricht Sie deshalb bei dem, was Sie gerade tun.
    Er lacht, wenn Sie weinen, lärmt, wenn Sie nachdenken, er ist eine stete Geräuschkulisse, immer unruhig. Immer getrieben vom nächsten kurzlebigen Wunsch. Nie wirklich angekommen da, wo er gerade ist.
    Ist er nicht im Zimmer, sollten Sie nachschauen gehen, was jetzt gerade kaputtgeht, welche Topfpflanze er massakriert, ob der Hund noch heil ist. Sie wissen nie, wie das Klo aussieht, wenn Sie es betreten. Christians Kampf, dass Simon sich zum Pinkeln hinsetzt, geht jetzt in den x-ten Monat.
    Irgendwann kommt zuverlässig von irgendwoher der Schrei. Dann sollten Sie, was immer Sie gerade tun, unterbrechen und nachsehen gehen. Wenig, was Sie beginnen, können Sie ungestört zu Ende bringen. Mein Freund hat es aufgegeben, sich zu wundern über halb ausgeräumte Geschirrspülmaschinen, herumliegende Staubsauger oder angebranntes Essen. Er fragt nicht mehr, wenn er die Teile eines Armreifes oder Fetzen einer Zimmerpflanze findet. Sein eigenes Zimmer ist stets abgesperrt, ein Alptraum, wenn die Schularbeiten, die er zum Korrigieren nach Hause bringt, von Simon bekritzelt oder zu Konfetti verarbeitet würden. Der Irrsinn dieses Alltags macht Menschen, die das nicht schon Jahre gewohnt sind, schwer zu schaffen.
    Am schlimmsten aber sind die Fragen, die Simon dauernd aufwirft, und die keiner beantworten kann. Wieso kann er Kopfrechnen, aber nicht das Klo sauberhalten? Wieso übersetzt er fließend aus dem Englischen, kann aber nicht korrekt mit »Ja« oder »Nein« antworten? Wieso macht er seine Playstation heute nicht alleine an, gestern ging es doch? Und wenn er so bildungsbeflissen ist und dringend ins Gymnasium will, wieso tut er dann, alleine gelassen, nichts anderes, als an seinem Penis herumzuspielen?
    Die Frage quält den Neuling, während ich inzwischen mit den Achseln zucke. Es ist halt so. Ein paar Erklärungen habe ich parat, vieles habe ich gelernt hinzunehmen. Mein Freund aber grübelt und sucht nach Antworten. Nicht alle, die er findet, sind richtig, dann muss ich ihn in langen Debatten zu überzeugen suchen. Und nicht alle Antworten, die er findet, sind bequem für mich. Vieles, womit ich mich eingeigelt und zufriedengegeben habe, wird hinterfragt, einiges zu Recht. Ich muss mich bewegen.
    Mit gemischten Gefühlen sah ich meinen Freund durch all die Phasen gehen, die ich selbst schon durchgemacht hatte, gezwungen, sie noch einmal mitzuerleben, noch einmal all die wechselnden Gefühle mit nachzufühlen. Von der

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