Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
Vom Netzwerk:
Sie ihm nicht erlauben können, Ihnen oder sich selbst weh zu tun. So lange, bis es vorbei ist. Wenn er traurig ist, trösten Sie, bis auch das vorbei ist und er »Reibekäse« oder die Playstation einfordert. Was Sie selbst fühlen, an Erregung, Angst, Einsamkeit, Verzweiflung, Wut, Frust, Müdigkeit – das ist Ihr Hobby, das braucht keiner, Sie gewöhnen es sich besser ab. Vermutlich fällt es einer Autistenmutter auch deshalb so schwer zu sagen, wo irgendwann irgendwie mal eine Grenze gezogen werden müsste. Grenze? Welche Grenze? Sie sind ja schon über jede einzelne hinweggegangen!
    Meine Eltern gaben mir immer das Gefühl, dass ich geliebt werde, egal, was passiert. Das war das erste Gesetz, das ich auch meinem Sohn beibringen wollte: Du gehörst zu mir, ganz und gar, wer immer du bist, was immer du tust, du wirst geliebt. Nicht nur zu Besuchszeiten, unverbindlich aus der Ferne oder mit irgendwelchen weltanschaulichen Einschränkungen. Es ist nicht leicht, hinter diesem einmal gefassten Anspruch zurückzubleiben.
    Auch das Gerede von »Quality Time« kann mir da wenig helfen. Sei du selbst, dann geht es auch deinem Kind besser. Ich glaube nicht daran. Denn mein Kind will nicht ins Heim, das hat es bereits getippt. Schon sein Bruder, der ihm so ähnlich ist in vielem, hasste all die Skilager und Freizeiten, auf denen er regelmäßig krank wurde. Er wollte auch nie in ein Internat, was übrigens schon für mich das Grauen meiner Kindheit gewesen wäre. Wir sind so – Familienschmuser. Simon einer anderen Erfahrung auszusetzen hieße für mich, ihm weniger zu geben. All diese »Manchmal passiert Erstaunliches«-Geschichten und »Das Kind braucht auch seine Freiheit«-Thesen treffen auf uns nicht zu, das weiß ich einfach, da können mir Experten noch so sehr das Gegenteil verkünden. Simon wird sich im Heim nicht entfalten, sondern einen quasipsychotischen Schub bekommen, so wie bei allen Umstellungen. Falls es gelingen sollte, ihn nach einer Weile zu stabilisieren, wird er stark regrediert sein und wir werden wieder ein halbes Jahr verloren haben. Wer weiß, was noch alles verlorengeht, denn wer weiß schon, wie es nach dem Vertrauensverlust in ihm aussieht. Denn ich glaube sehr wohl, dass ich diesen Vertrauensverlust nicht nur in ihn hineinprojiziere, sondern dass er diesen auch tatsächlich erleben wird. Können wir Simon nicht stabil bekommen, wird er vielleicht nie mehr die Person sein, die er war. Das ist der Preis, wenn ich all die schönen Sprüche glauben soll, die mich ermuntern, meinen Weg zu gehen und mein Leben zu führen. Es ist ein hoher Preis und nicht die Wortführer bezahlen ihn und auch ich nicht. Nur ein elfjähriges Kind, das selbst nichts dazu sagen kann. Sie fragen, warum es mir so schwerfällt? Ich verstehe die Frage nicht.

Vater – Mutter – Kind … und Heim?
    Der richtige Mann im richtigen Leben fand sich, als ich gar nicht an die Liebe dachte, sondern mich darauf konzentrierte, beruflich wieder stärker Fuß zu fassen. Ich hatte mich beinahe damit abgefunden, das Leben einer Autismusnonne zu führen, Simon und ich, und vielleicht einmal wir beide im Rahmen einer heilpädagogischen Wohngruppe, wo ich mitarbeitete, wie eine Laienschwester im Orden der Therapeuten. Was sollte es anderes geben?
    Aber zumindest das Schreiben wollte ich mir erhalten. Da es mit Simon gerade gut lief, hatte ich Energie übrig, die ich investieren konnte und die sich auszahlte. Ich erhielt einen kleinen Preis. Ein Verlag kam auf mich zu, um einen Roman zu konzipieren. Und ich konnte einen Vertrag über einen Krimi abschließen, in dem ein Autist mitspielen sollte: »Gestorben wird immer«, was mir einen großen Wunsch erfüllte.
    Mit »Das Leben ist mörderisch« hatte ich eine Sammlung schwarzer, bitterböser und zugleich komischer Geschichten, die auf Lesungen vorzutragen erstmals wirklich Spaß machte. Die Leute lachten, wenn ich las, über dieselben Dinge wie ich, und zum ersten Mal seit Jahren fühlte ich mich in meiner öffentlichen Rolle einigermaßen wohl. Zusätzlich zum Schreiben hatte ich begonnen, in einem regionalen Verlag als Lektorin zu arbeiten, einen Tag in der Woche. Ich gab dort Anthologien mit Kriminalgeschichten heraus und lernte auf diese Weise in rascher Folge meine in der Gegend arbeitenden Kollegen kennen, nachdem ich in der Szene jahrelang

Weitere Kostenlose Bücher