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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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ja muss er aushalten? Wo ist Hilfe einfach nötig? Christian und ich, wir diskutieren.
    Pinkeln im Sitzen, sitzen bleiben beim Essen, bis man fertig ist – das sind die beiden Projekte, die Christian aufgelegt hat und an denen wir mit Strenge und Konsequenz zu arbeiten versuchen. Sie sind sinnvoll, sie sind essentiell. Keine Einrichtung, noch nicht einmal seine derzeitige Schule, wird Simon annehmen, wenn er Bruchrechnen kann, aber nicht alleine aufs Klo. Und essen im Sitzen, das ist eine Selbstverständlichkeit, überall wird das erwartet werden. Auch wir hätten gerne ein wenig Ruhe, wenigstens bei der Nahrungsaufnahme. Die Chance auf ein Tischgespräch. Oft genug sind die Mahlzeiten die wenigen Augenblicke am Tag, da man Zeit füreinander hat.
    Wir überwachen diesen Prozess, überwachen die eigenen Reaktionen – habe ich etwas versäumt? War diese Ermahnung sinnvoll? –, wir reden darüber, wir füllen unseren Alltag mit Autismus, so wie dieses Kapitel, das eigentlich von uns als Paar handeln sollte, ganz mit Autismus gefüllt worden ist, bis selbst ich es fast nicht mehr ertrage und frage: Können wir nicht mal über was anderes reden?
    Â»Wieso?«, sagt mein Freund, »das ist doch wichtig.«
    Ich liebe Christian für sein Engagement. Ich bin ihm endlos dankbar dafür, dass Simon ihn bewegt, ihn beschäftigt und seine Energie beanspruchen darf und dass er akzeptiert, dass Simon nicht zuletzt zu mir gehört, auch wenn er immer mal wieder damit hadert, dass die Dinge sind, wie sie sind. Dass Christian seine Kraft investiert und mir hilft, die Kraft aufzubringen, mein Kind zu erziehen, jeden Tag. Simon einfach vor sich hin wursteln zu lassen wäre einfacher.
    Auf der anderen Seite sind unsere Ansichten oft verschieden. Er führt mir vor Augen, wie oft ich inkonsequent und nachlässig bin, auf Fehlverhalten positiv reagiere, zum Beispiel mich Simon zuwende, weil er rumschreit, statt es zu ignorieren nach dem Grundsatz: »Wer schreit, kriegt gar nichts!«, den ich mal eingeführt hatte. Wie oft ich verhängte Sanktionen einfach vergesse oder gar nicht bemerke, wenn aufgestellte Regeln übertreten werden. Wie groß meine Hemmschwelle ist, neben der lieben Mama auch mal eine Autoritätsperson zu sein. Die Simon aber braucht.
    Mir ist im Gegenzug sein Kurs manchmal zu hart, ich bezweifle dann nicht den Sinn der Konsequenz, wohl aber den der Härte, die er dabei an den Tag legt. Manchmal glaube ich, Christian würde ein Kind zum Schwimmenlernen ins kalte Wasser werfen. Dann bezweifle ich auch die Selbstlosigkeit dieser pädagogischen Intention. »Nur weil es dir so gegangen ist«, werfe ich ihm vor, »muss Simon das jetzt nicht auch durchmachen!« Schon sind wir bei den Vorwürfen. Es ist eine stete Gratwanderung.
    Und: Wo ist das Paar hin, das seine Zeit damit verbrachte, zu flirten und über die eigenen frivolen Dialoge zu lachen?
    Am freien Samstag atmen alle auf; Simon ist weg, einen ganzen Tag und eine Nacht. Da merken wir erst, was für ein Alb, was für eine stete Konzentration über den anderen Tagen lag. Es gibt so viel, was mit einem Mal zu tun wäre, so vieles, was hineingepackt werden müsste in den herrlichen Freiraum, der sich vor uns auftut. So viel kommt über die Woche zusammen, was wir die ganze Zeit schon mal tun wollten. Lass uns ausschlafen. Lass uns essen gehen, lass uns in die Thermen fahren, in die Fränkische Schweiz. Wollen wir Wii spielen? Er müsste noch korrigieren, ich müsste schreiben. Könntest du meinen Text mal querlesen, bitte? Wollten wir nicht endlich die Lampe aufhängen? Wir sind übrigens eingeladen. Ich würde so gerne mal ein paar Tage am Stück mit dir wegfahren. Tja.
    Bücher stapeln sich. Freunde werden vernachlässigt. Müdigkeit ringt mit dem Wunsch nach Aktivität. Und die Zeit läuft.
    Der eine Tag ist so kostbar und so leicht verdorben durch ein Zuviel oder Zuwenig an Unternehmungen und Schlaf. Ganz wird er nie halten können, was er verspricht.
    Inzwischen neigen wir dazu, ihn eher leer zu halten, wenig Action, wenig Menschen, dafür, ganz wichtig, das hat Simon uns gelehrt: viel du und ich.
    Sonn- und Feiertage sowie Schulferien stellen eine stete Gefahr dar. An Sonntagen und in den Ferien, also genau dann, wenn andere sich entspannen und sich eine schöne Zeit machen wollen, mein Freund eingeschlossen, bin ich innerlich angespannt

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