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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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fragen können. Es war quälend. Ich wollte ihm sagen, dass ich ihn liebhabe, aber das auszusprechen war unmöglich, vollkommen unmöglich. Die Worte steckten in meinem Hals und kamen nicht raus. Aber so was hatten wir ja auch noch nie gemacht.
    Am bedeutsamsten war für mich damals der Umstand, dass die Ärzte bei ihm eine Depression festgestellt hatten und er sich dem stellen musste. Denn wenn er eine hatte, dann durfte ich auch eine haben. Das mag dumm sein, aber ich dachte so. Ohne diese Diagnose wäre es mir nicht möglich gewesen, meinen Eltern gegenüber einzugestehen, dass ich am Ende war. Ich hätte befürchtet, dass sie sich den Kopf zerbrechen würden, was sie falsch gemacht hatten, dass sie sich die Schuld geben und als Versager fühlen würden, als Eltern gescheitert. Das hätte ich nicht gewollt. Das hätten sie, meiner Logik zufolge, auch einfach nicht verdient.
    Meine Eltern haben sich beide aus harten, lieblosen Kindheiten gerettet und versucht, trotz dieser Bürde eine heile Familienwelt aufzubauen. Schon als Kind hatte ich gespürt, obwohl sie das nie sagten oder verlangten, dass ich nicht nur der Beweis, sondern auch der Gradmesser dafür war, dass und ob sie alles richtig gemacht hatten. Ich musste ein Erfolg sein. Ich durfte nicht so kaputt sein.
    Jetzt war das endlich anders. Ich konnte mich zurücklehnen und sagen: Du bist depressiv? Ich auch. Da haben wir schon was gemeinsam. Vielleicht sind es ja einfach nur die Gene, und keiner kann etwas dafür.
    Krankheit kann auch sehr erleichternd sein.
    In meinem Fall hieß die Antwort auf die Depression: eine Therapie machen – und Tabletten nehmen. Wobei ich im Nachhinein Glück hatte, schon der erste handelsübliche Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Citalopram, schlug an. Damals konnte ich die Wirkung allerdings nicht genau einschätzen. Es geriet so vieles in Bewegung. Die erste Entlastung kam durch das Gespräch mit dem Psychiater, die zweite durch mein »Coming-out«. Ich erzählte es jedem, der es hören oder nicht hören wollte: dass ich depressiv war und Medikamente nahm. Erstaunlicherweise habe ich damit nur gute Erfahrungen gemacht. Nicht einer, der mich daraufhin nicht mehr als mündigen Menschen, als einen, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, behandelt hätte. Im Gegenteil, viele sagten mir, dass sie auch etwas nähmen, gerade in Therapie wären etc. etc. Aus der guten Beziehung zu einer Nachbarin zum Beispiel wurde an dem Tag eine Freundschaft, als ich heulend vom Gespräch mit meinem Psychoanalytiker kam. Sie hatte mich vom Fenster aus gesehen und zu einer Tasse Tee eingeladen. Ich schwankte, ob ich ihr Angebot annehmen sollte, versuchte eilig, die Tränen wegzuwischen, schaffte es aber nicht so dezent wie erhofft. Dann platzte es einfach aus mir heraus: »Sorry, ich bin noch etwas aufgewühlt, ich komme gerade aus einer Therapiesitzung.«
    Sie antwortete nach kurzer Verblüffung: »Ja, ich mache auch gerade eine. Aber ich bin nicht glücklich damit. Und ich nehme Tabletten deswegen.« Sie holte die Packung, und wir hatten ein Gesprächsthema. Den Grundstein für unser Vertrauen ineinander, das bis heute nicht enttäuscht wurde, hatte unsere gegenseitige »Offenbarung« gelegt.
    Die dritte Entlastung entstand natürlich durch die Perspektive, die sich mit dem Termin beim Kinderpsychiater für Simon auftat. Dort sollte, dort würde endlich alles gut werden, mit mir war es schließlich auch wieder etwas aufwärtsgegangen. Ich hatte aufgehört zu heulen, das war schon mal ein gutes Zeichen. Und es gab da zwei Augenblicke, die herausstachen; ich nannte sie Epiphanien: einmal war es tanzendes Laub, das im Zoo vor mir über den Weg wehte, ein andermal vom Wind verwirbelter Rauch, der aus einem Schornstein aufstieg. Beide Bilder sprangen mich förmlich an, es war unmöglich, sie zu übersehen, sie waren so schön, so zwingend, so beglückend. Ich blieb einfach stehen, mit klopfendem Herzen, und schaute den Blättern, dem Rauch hinterher. Ich fühlte mich mit einem Mal zutiefst von etwas Wunderbarem erfüllt.
    Wie konnte das sein?
    Ich rief meinen Psychiater an und fragte besorgt, ob das eine Nebenwirkung der Tabletten sein könnte. Er lachte und meinte, das sei keine Nebenwirkung, es sei vielmehr die Wirkung. Ich wäre jetzt eben wieder in der Lage, schöne Dinge im Leben wahrzunehmen. Seltsam berührt

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