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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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meine Wut loszuwerden. Obwohl ich nur freundlichen Blicken begegnete, saß ich stumm hassend zwischen karierten Tischtüchern. Es war so schwer, die Kinder auf der Bühne stehen zu sehen, die eigenen, und dabei zu denken, was für ein Haufen Beschädigter … nein, niemand würde sich wünschen, dass es seine wären. Noch schwerer, die anderen zu sehen, die heilen, all diese fröhlichen kleinen Mädchen mit Zöpfen und aufgeweckten Jungs, die so eifrig mitmachten und plauderten und spielten, so niedlich, dass ich hätte kotzen können.
    Simon stand stumm auf der Bühne wie immer, er singt nie, wenn die anderen singen, die Lieder kommen nur, wenn er alleine ist. Danach machte er in die Hose. Wir gingen bald.
    Sie hassen die ehemalige Mitschülerin, die Ihnen vor sechs Jahren mal gesagt hatte: »Du mit Kind, kann ich mir gar nicht vorstellen.« Die soll bloß nicht glauben, dass sie recht behalten hat, die blöde Kuh.
    Sie hassen den alten Sack in der Wirtschaft, dem Simon auf die Glatze gefasst hat und der daraufhin meinte: »Der gehört doch weggesperrt.« Ja, ist die denn aus Gold, seine Naziglatze?
    Sie hassen das kleine Mädchen im Malkurs, das Ihren Sohn mit so sicherem Gespür für ausgrenzbare Andersartigkeit erst lange beobachtete, um dann zu verkünden: »Der soll aufhören zu singen, das stört mich.« So was von gesundem Instinkt aber auch, das kleine Miststück.
    Sie hassen die Leute, die sagen, Sie sollen ihn doch ins Heim geben und sich nicht selbst kaputtmachen. War es schon beim ersten Besuch oder erst später? Jedenfalls sagte mein Psychiater einmal, mit behinderten Kindern sei das so: Entweder gehe die Ehe der Eltern in die Brüche. Oder man entscheide sich, das Kind ins Heim zu geben. Weder noch, dachte ich damals, reichlich schockiert und herausgefordert. Weder noch, du Arsch. (Er ist alles andere als das, aber ich meine mich zu erinnern, dass ich ihn damals exakt so titulierte, im Geiste natürlich.) Scheiß auf die Statistik. Ich will weder noch. Ich werde mich nicht scheiden lassen, bloß weil das irgendwo ausgerechnet wurde. Und mein Kind kommt nicht ins Heim. Euch werd ich’s schon zeigen. Hat schließlich bei Kind und Dissertation auch geklappt.
    Sie hassen die Kinder von Freunden, die nicht darauf verzichten können, ihre Scheiß-»Fünf-Freunde«-Kassetten zu hören, obwohl Simon dann in Panik flüchtet. Sie hassen die Freundin gleich dazu, die meint, sie fühle sich nicht wohl, wenn Simon unbeaufsichtigt durch ihr Haus streife. (Obwohl er ein anerkannter Zerstörer von Dekoteilen ist; er zerkaut alles, was er in die Finger bekommt. Aber Sie hassen ja auch alle, denen Schöner Wohnen wichtiger ist als ihr Kind. Sie selbst sind es gewohnt, dass alles Stück für Stück kaputtgeht.)
    Sie hassen auch die andere Freundin, die beim Kaffeetrinken meinte: »Kannst du ihm sagen, dass er mich nicht anfassen soll, bitte?« Kann sie ihm das nicht selber sagen? Er ist autistisch, aber nicht taub, und auch nicht doof. Und erst recht kein Ungeziefer, von dem man nicht berührt werden möchte.
    Sie hassen seine erste Lehrerin, der als Reaktion auf die Panik des Kindes in der fremden Umgebung nur einfiel, ihn einzusperren, um ihn »zu brechen«, die ihn auch wirklich fast zerstörte und mir die Trümmer mit den Worten überreichte, dass man da schon viel früher hart hätte durchgreifen müssen. Hier jedenfalls gehöre er nicht her. Möge sie einsam sterben.
    Sie hassen Ihren eigenen Mann, der sich in sein Computerzimmer verzieht und sagt: »Da kann man eh nichts machen.« Und Sie stehen vor Ihrem schreiend im Kreis laufenden, sich auf den Kopf schlagenden Kind und denken: Schon richtig, dass man nichts tun kann, damit es aufhört. Aber irgendwie muss man sich doch trotzdem dazu verhalten. Verrecken sollst du an deinem blöden »World-of-Warcraft«.
    Hasst man sein Kind? Nie mehr, als man es liebt.
    Der Tag, an dem ich Simon anschrie, dass er mein Leben zerstöre, war der allerschwärzeste für mich.
    Danach hasste ich mich selbst.
    Das größte Ereignis damals war natürlich der Gang zu Simons Psychiater – voller Angst, voller Scham, aber ohne Alternative und inzwischen mit fast gieriger Bedürftigkeit. Seltsam, dass wir uns so lange so sehr dagegen gesträubt hatten. Jetzt konnten wir es kaum erwarten, den Mann zu sehen, der bis zu drei

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