Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können
legte ich auf. Seit diesen beiden Schlüsselmomenten versuche ich, mir das zu bewahren: einen Blick für kleine Schönheiten, ganz alltägliche, Sie wissen schon, diese kitschige Sache mit Blumen und Wolken oder den Spiegelungen in einer Pfütze. Ich versuche, sie wahrzunehmen und dabei glücklich zu sein. Manchmal klappt es, manchmal bleibt es beim Bemühen, manchmal springt für mich als Schriftstellerin auch eine verwertbare, verwortbare Impression dabei heraus, immerhin.
Manchmal aber ist da nur Schwärze.
Exkurs: ScheiÃe, Arsch und Hass
Halten wir einen Moment inne, um all des Hasses zu gedenken, der in dieser Zeit in mir angespült wurde wie schwarzer Schlamm und nie seinen Weg hinausfand. Nicht einmal im »Manifest« bekam er seinen Platz, wie mir jetzt auffällt, nicht einmal den klitzekleinsten, weil es ja konstruktiv sein sollte. Immer will man konstruktiv sein, im Umgang mit allem und allen, es geht ja um das Wohl des Kindes, und ein Elternteil mit Querulantenwahn ist da kein Vorteil.
Aber glauben Sie mir, wenn Sie ein behindertes Kind haben, dann hassen Sie ohne Ende: das Schicksal, die eigenen Gene, sich selbst, der Sie ja doch irgendwas falsch gemacht haben müssen.
Die folgende Auswahl an Hassgefühlen wurde frei zusammengestellt und ist wie immer ohne Gewähr. Vergessene können sich bewerben, Erwähnte sollten bedenken, dass ich auch weiÃ, dass sie nichts davon verdient haben. Aber scheià drauf.
Sie hassen die Mütter normaler Kinder mit ihrem unverdienten Glück und die Kinder gleich dazu, diese dämlichen Bälger, die ihnen am Gartentor erzählen, was sie jetzt schon wieder Tolles können. »Uii, Sarah, toll, du hast eine Holzperlenkette aufgefädelt. Wie schön!« Fahr zur Hölle.
Sie hassen die Kindergärtnerinnen, denen zu Ihrem Sohn nichts anderes einfällt, als dass er den ScheiÃbauklotzturm nicht aufbauen kann und dass das sehr bedenklich sei mit viereinhalb. Ignorantinnen allesamt. Sie schenken ihnen teure Marmeladen zum Ausscheiden. Stirb dran.
Sie hassen die Kindergartenleiterin, die, als Sie, halb im Trotz, ankündigten, den Kindergarten wechseln zu wollen, weil gerade mal Ihr Leben in die Brüche ging, nur wissen wollte, wann das denn wäre, damit sie besser planen könne. Zwei Jahre später hören Sie, dass sie Brustkrebs hat? Interessiert mich jetzt auch nicht.
Sie hassen die Tagesmutter, die nie etwas gemerkt haben will (obwohl Sie selbst ja auch nichts gemerkt haben) und Sie hassen ihr händeringendes Mitgefühl, das Ihnen auch nicht weiterhilft. Sie hassen Ihren Mann, der Ihrem Sohn und auch Ihnen nie was getan hat, gleich mit. Scheià drauf.
Sie hassen die Nachbarin, die â sonst noch Sorgen? â spitz bemerkt: »Dieses Kind kennt mich seit fünf Jahren und grüÃt mich immer noch nicht.«
Sie hassen den alten Studienfreund, der später zum Thema Einschulung sagen wird: »Stellt ihn doch noch ein Jahr zurück. Wennâs dann auch nicht geht, istâs eh schon egal.« Eh schon egal? Was bitte genau soll das heiÃen? Müllhalde oder was?
Oh, Sie hassen endlos. Sie hassen Ihren völlig ahnungsfreien Psychologen, der flockig meint, mit Simon hätten Sie bloà mal mehr im Matsch spielen sollen, dann würde das schon werden. Dreck an die Hände, Baukran und »brummbrumm« machen. Weià der eigentlich, wovon er redet?
Sie hassen die guten Freunde, die meinen, dass es kein Wunder wäre, dass das Kind noch nicht spräche, wir würden uns zu Hause eben zu intellektuell unterhalten.
Sie hassen die Blicke der Passanten, die tadelnd auf das schreiende Kind schauen, als wären Sie nur irgendeine Mutter, die ihr Balg vor dem SüÃigkeitenregal nicht im Griff hat.
Sie hassen die selbstzufriedenen Mienen der Besucher eines Kinderkonzertes, die den Behindertenchor, in dem Ihr Kind später singen wird, eingeladen haben aufzutreten. Ein ganzes Kulturzentrum voller normaler Kinder mit normalen Eltern, die ich dafür gehasst habe, dass sie ihr Leben vielleicht für schwer hielten, ihre Kinder für nervig und ihren Alltag für stressig. Ihr habt ja keine Ahnung, dachte ich. Argwöhnisch betrachtete ich sie, um Spuren von Desinteresse, von Hohn, von Belustigung, von Mitleid zu erkennen, egal was, sie hätten es mir nicht recht machen können. Aber sie waren einfach freundlich, normal, interessiert. Es gab keinen Anlass,
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