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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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Mittag in der Schule blieb, zwei Jahre, bis er in den Bus stieg, und zweieinhalb, bis er nach und nach anschließend noch die Tagesstätte besuchte. Erst seit gut einem Jahr ist er ein Kind, das morgens um halb acht aus dem Haus geht und gegen vier wieder nach Hause kommt.
    Durch Simon, der ja eine ständige Lärmquelle ist, war ich gewohnt, Hintergrundgeräusche komplett herauszufiltern. Ich habe mich nie mit jemandem unterhalten außer der Bedienung, ich hatte weder die Zeit noch das Bedürfnis. Aber ich befand mich unter erwachsenen Menschen in einer erwachsenen Welt, und das allein tat schon einmal gut. Und, wie gesagt, es gab keine Möglichkeit zu schlafen.
    Nachmittags ergab sich dazu auch keine Gelegenheit mehr, denn Simon konnte keine Minute alleine gelassen werden. Nicht dass er das überhaupt zugelassen hätte. Er versicherte sich ständig, dass man da war, und brauchte oft irgendetwas. Nie spielte er alleine, und überließ man ihn zu lange sich selbst, versank er so sichtbar im Chaos seines Inneren, dass ich immer wieder Ansätze machte, ihn zu beschäftigen und herauszuholen, voll des schlechten Gewissens. Außerdem baute er jede Menge Mist, verschmiss Sachen, nach denen er dann schrie, verschüttete Lebensmittel, versuchte, aufs Dach zu klettern, musste ständig umgezogen werden, weil irgendetwas feucht geworden war, was er nicht ertrug, lief weg und stand dann, in plötzlicher Angst vor der eigenen Courage, nach mir schreiend auf der Straße oder im Wohnzimmer eines Nachbarhauses, in das er fröhlich eingedrungen war. Er zerlegte alles in Einzelteile, was er in die Finger bekam und warf die Überreste dann auf den Boden: Kugelschreiber, Tesafilmspender, Playmobilmännchen, Topfpflanzen, Schmuckstücke, Bilderbücher.
    Was Simon nicht auseinandermontierte, zerbröselte oder zerkaute er. Schöner Wohnen hatten wir längst aufgegeben, Ketten oder Ohrringe trug ich erst gar nicht mehr. Jonathan war gehalten, die Fernbedienung seiner Playstation nicht herumliegen zu lassen, wenn er nicht wollte, dass binnen Sekunden nur noch Trümmer davon übrig waren.
    Wissen Sie, aus wie vielen Teilen ein Kuli besteht? Und wie ein iPod aussieht, das so richtig durchgekaut wurde? Ständig fanden wir irgendwelche traurigen Relikte und fragten uns, woher sie wohl stammten und was jetzt wieder kaputtgegangen war. Mit der Zeit gewöhnte ich mich daran. Steuerungen für Playstations kauften wir bei eBay auf Vorrat ein; im Fall des Falles, dass Simon sich endlich auch durch die vorsorglich angebrachte Schicht aus Isolierband gefressen hatte, wurde einfach die nächste aus dem Schrank geholt. Nippes war uns ohnehin nicht so wichtig. Ich fegte so leichtherzig Trümmer von Besitztümern zusammen, dass ich mich zu wundern begann, warum unsere Freunde immer so ein Tamtam um irgendwelche Dekorationsgegenstände machten, die Simon während des Kaffeetrinkens zerstörte. Der Türkranz war doch wirklich hässlich gewesen und, Hand aufs Herz, die Zierkerze auch. Was hatten die anderen Kinder bloß, dass sie wegen eines zerkauten Legosteins, eines zerfetzten Gummiskeletts oder einer auf Nimmerwiedersehen zerlegten Taschenlampe so eine Schnute zogen? Natürlich bot ich für alles Ersatz an, was Simon ruiniert hatte, und es war mir auch peinlich. Aber zugleich wunderte und ärgerte ich mich über die Verwunderung der anderen und ihren Ärger. Das war doch alles ganz normal! (Im Moment rupft er lediglich regelmäßig im Vorbeigehen Teile von meinem Schnittlauchtopf ab. Überall in der Wohnung liegen die grünen Stängel, eine unübersehbare Spur. Sie riecht ein wenig zwiebelig, aber das ist wirklich eines der kleineren Probleme.)
    Während ich mich zum Schreiben also in Kaffeehäuser flüchtete, konnte ich mich anderen Arbeiten nicht so leicht entziehen. Im Haushalt beschränkte ich mich auf das Nötigste, Garten war schwierig, weil Simon, sobald man sich über ein Unkraut neigte, in Sekundenschnelle irgendwohin wegwitschte und sich nicht alle Nachbarn gleich verständnisvoll zeigten, wenn er ihre Wohnzimmer inspizierte, ihren Blumen die Köpfe abriss oder ihre Hunde küsste.
    Einkaufen ging schon leichter, auch sah man mal etwas anderes, selbst wenn es nur die schön geraden, aufgeräumten Gänge des Aldi-Marktes waren. Immerhin ein Stück Welt, sauber, übersichtlich, attraktiv beleuchtet, interaktiv.

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