Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können
konnte ich an anderen nur bewundern. Jetzt aber hatte ich schon Mühe, morgens noch regelmäÃig zu duschen und nicht zusammenzuzucken, wenn das Telefon klingelte und die Welt offenbar irgendetwas von mir wollte. Noch etwas von mir wollte. Einfach viel zu viel wollte.
Ich wachte morgens wie gerädert auf, manchmal hatte ich Wortfindungsstörungen. Ich laborierte viel mit irgendwelchen vagen Infektionserkrankungen herum, mit Kopfschmerzen, Mattigkeit, Schwindel, häufigen Blasenentzündungen, mal einem neuen Hörsturz, mal einem Bandscheibenvorfall. Immer wieder klappte ich zusammen, einmal bei einem Spaziergang, wo mir ein plötzlicher Schwindelanfall das Gehen und Stehen unmöglich machte. Die Kinder und ich, wir konnten nicht weiter. Ich bat Jonathan, auf seinen kleinen Bruder aufzupassen, damit er nicht in die nahen Fischteiche fiel, und Wanderer, per Handy meinen Mann aus dem Büro zu rufen, der uns einsammeln kam. Meine Mutter brachte mich später zum Arzt, der meinte, diese Mütter, die würden eben immer weitermachen und nie ihre Infekte auskurieren.
Ein andermal brach ich auf einem steilen StraÃenstück beim Fahrradschieben ohnmächtig zusammen und wachte mit dem Gesicht auf dem Asphalt wieder auf, mein stummes Autistenkind noch immer neben mir. Ein Anwohner, zu dessen Haustür ich kroch, fuhr uns die restlichen 800 Meter nach Hause. Dann wieder rief ich nachts den Notarzt, weil ich die Ohrenschmerzen nicht mehr ertrug. Er konstatierte neben der Nebenhöhlenentzündung noch eine unentdeckte heftige Bronchitis; ich verdämmerte die Nacht, herrlich von Schmerzmitteln umnebelt, auf dem Teppich im Wohnzimmer. Meine Familie bekam nichts mit; wenn endlich einmal alle schliefen, wagte ich nicht, jemanden zu wecken.
Nein, mir war nicht nach Ausgehen.
AuÃerdem: Es gab so wenig Zeit, die ich ganz für mich hatte, um Ruhe zu genieÃen und mich wohl zu fühlen. Um einmal nicht als Motor und Erfüller für die Bedürfnisse eines anderen zu funktionieren. Warum sollte ich diese wenigen kostbaren Momente in der Gesellschaft fremder Menschen verbringen, nach sozialen Vorgaben funktionierend und beschäftigt damit, vorzutäuschen, ich wäre noch irgendetwas anderes als ein Wrack?
Es reichte ja nicht mal mehr für Kino. RoutinemäÃig forderte mein Mann mich zwar alle paar Wochen auf, ich solle mir doch irgendwann mal einen freien Abend gönnen, aber ich wusste ja, was das für ihn bedeutete, und nahm es nicht ernst. Gegen seinen und meinen inneren Schweinehund kam die vage Lust, vielleicht den neuen Lars von Trier zu sehen, nicht an. Es lag mir immer näher, wenn ich schon mal freihatte, mich einfach hinzulegen und ein wenig von den tausend Jahren Schlaf nachzuholen, von denen ich träumte, die Decke über den Kopf gezogen, in schwere, verschwitzte, ungute Träume versunken, als wollte das schlechte Gewissen mich nicht mal im Schlaf loslassen.
Ein Problem war die Müdigkeit an den Vormittagen, wenn ich alleine war: Simon zumindest für eineinhalb bis zwei Stunden aus dem Haus, für seine Rumpfbeschulung, Jonathan bis zum Mittag. Ich hätte in dieser Zeit am Computer sitzen und schreiben müssen. In einem früheren Interview hatte ich einmal erklärt, dass mir diese Disziplin im Grunde nicht schwerfalle; ich hatte sie einfach aus der Zeit meiner Dissertation übernommen: nie nach neun am PC .
Jetzt lockte stets das Bett.
Um der Versuchung zu widerstehen, fing ich an, in Kaffeehäusern zu arbeiten. Dort gab es keine Chance umzusinken, nur den Laptop und mich und das günstigste Getränk auf der Karte. Die einzige Verlockung war die, nicht noch etwas zu essen dazuzukaufen, denn finanziell war mein Arbeitsverhalten prekär. Ich konnte es mir eigentlich nicht leisten, jeden Tag ein paar Euro auszugeben. Aber jeden Tag zu verschlafen, statt überhaupt Geld zu verdienen, das ging auch nicht.
Es gibt ganze Bücher von mir, die im »Mr. Bleck« geschrieben wurden oder auf der Terrasse des »Trapper-Cafés«, das noch dazu den Vorteil hatte, ganz in der Nähe von Simons zweiter Schule zu liegen, wo ich ihn täglich hinbrachte und abholte. Bedingt durch seine Extra-Schulzeiten und auch, weil er so nervös und ängstlich war, war es unmöglich, ihn einfach in einen der Behinderten-Schulbusse der Malteser zu setzen, wie das mit seinen Mitschülern geschah. Es sollte ein Jahr dauern, bis Simon bis zum
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