Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können
Allerdings taten einem irgendwann die Finger weh, und die Augen tränten. Meistens schaute ich Zombiefilme.
Ich weià auch nicht, wie das kam, wann ich den ersten gesehen und wie ich Geschmack an diesem Genre gefunden habe. Inzwischen besitze ich die meisten Klassiker, dazu ein paar Horrorfilme, die ich mag â es müssen gar nicht viele sein, denn mittlerweile bin ich wie Simon: Ich habe die Freude am Neuen verloren und ergehe mich lieber in den Freuden des Altbekannten, des Wieder-und-wieder-Sehens. Jean Renos Mienenspiel in der vierzigsten Minute von »Die purpurnen Flüsse«. Die Haltung, mit der Cillian Murphy sich am Anfang von »28 Days later« umdreht, um das leere London zu betrachten. Der Ton, in dem sein Gefährte später zu einer Steige Ãpfel im verlassenen Supermarkt sagen wird: »Ah, die guten Verstrahlten.« Solche Szenen konnte ich immer wieder betrachten, der Handlungsverlauf spielte keine Rolle. Wie ein echter Autist.
Wenn es gerade ganz schlimm war, schaute ich wochenlang einen und denselben Film jeden Abend an, manchmal auch zweimal hintereinander, wenn mir die Augen nicht schon vorher zufielen. Einen neuen einzulegen, dazu konnte ich mich nicht aufraffen, wozu auch? Es gab mir ein Gefühl von Aufgehobensein und Heimat.
»Warum Zombiefilme?« Meine Therapeutin hat mich das gefragt. Warum das ganze Blut und die Schreie und â in den allermeisten Fällen â die Endzeitstimmung, in der die Geschichten spielen? Warum dieses Grauen? Ich selbst hatte mir diese Fragen nie gestellt, ich nahm meine plötzliche Leidenschaft einfach als gegeben hin.
Bezüglich der Weltuntergangsstimmung meinte meine Therapeutin, dass dies meinem Lebensgefühl entspräche: am Ende zu sein und unter Aufbietung aller Kräfte, am Rande der Hysterie stehend, gerade noch so zu überleben. Aber natürlich hat es auch mit dem Hass zu tun, den ich bereits skizziert habe. Wenn man den ganzen Tag mehr oder weniger im Dienst der Psyche und Physis eines anderen Menschen steht, wenn man immer wieder hilflos ist und keine Hilfe erhält, sich zudem mit Ignoranz konfrontiert sieht, wenn man seine Lebenszeit so dahinflieÃen sieht und immer nur müde ist und frustriert und gar kein eigenes Leben mehr zu besitzen scheint, dann kann man schon gewisse Aggressionen aufbauen. Die müssen dann irgendwo hin. Beim Autisten sind sie fehl am Platz, der kann ja nichts dafür und auÃerdem mit Emotionen ohnehin nicht umgehen. Der groÃe Sohn hat die Aggressionen auch nicht verdient, der Gatte muss geschont werden, das muss er immer. Gucken wir also Zombiefilme an und zerreiÃen die Menschheit in einer einzigen BlutsoÃe. Herrlich. So bleibt das Reihenhausidyll stabil.
Ich denke, dass ich damals so abgestumpft war, dass es schon extremer Eindrücke und Gefühle bedurfte, damit ich überhaupt noch irgendetwas empfand. Das Genre Schicksalsdrama genoss ich bereits daheim, das brauchte ich nicht auch noch im Fernsehen. Sexszenen erinnerten mich ungut daran, dass ich keine erlebte, Romantikschnulzen waren noch nie mein Ding gewesen. Blieb nur noch der Humor. Und die Gewalt. Gerne beides in einem. Zum Glück gibt es Quentin Tarantino.
Scheidung auf autistisch
Sie werden Ihr Kind ins Heim geben oder sich scheiden lassen â das hatte der Psychiater mir prophezeit. Dennoch: Die Scheidung war nicht Simons Schuld, so zu denken wäre zu einfach, obwohl es sicher keine Hilfe für eine angeschlagene Beziehung ist, wenn beide Partner stets übermüdet, überfordert, gereizt und ohne Zeit füreinander sind. Im Gegenteil, könnte man sogar sagen: Die Aufregung um Simon, den brennenden Topf, und der Stress der ständigen Löschbemühungen haben geholfen zu verdecken, was alles im Argen lag. Ohne Simon wäre das alles vielleicht viel früher passiert, wer weiÃ.
Ich erinnere mich jedenfalls, schon sehr lange enttäuscht gewesen zu sein, und diese Enttäuschung hinuntergeschluckt zu haben, um anschlieÃend auch noch den Schluckvorgang zu vergessen und mich zu wundern, woher all die schwarze Galle in meinem Magen kam. Ich erinnere mich, schon viele Jahre lang immer wieder das dicke »Kursbuch Kinder« aufgeschlagen zu haben, auf der Seite Scheidung, wo in einer nach Alter gruppierten Tabelle aufgelistet ist, welche schädlichen Auswirkungen eine Trennung auf Kinder hat. Jedes Mal vergebens: Es gab einfach kein Alter, das für eine Scheidung
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