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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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dem Sinne nicht. Ich kam wenig aus dem Haus, hatte nicht viel Freizeit, konnte weder Wochenenden durchtanzen noch Kurzurlaube machen und hätte eine Weile gebraucht, mich von ganzkörperlich alltagsabgeschabt auf hip umzustylen. Ohnehin war ich sehr kontaktentwöhnt. Vielleicht war es gar nicht so übel, erst einmal nur Worte zu tauschen, ehe man sich in die raue Begegnungswelt stürzte? Mit Worten kannte ich mich schließlich aus. Also schrieb ich mich bei einer Partnerschaftsbörse ein, wo man autismuskompatibel von zu Hause aus suchen konnte.
    Die Voraussetzungen waren inzwischen gar nicht mehr so schlecht. Das Übergewicht war dank etwas Kampfsport abtrainiert, die Haare hatte ich gefärbt. Zwar wurde es schwierig, ein Foto von mir zu schießen, auf dem ich nicht traurig oder verspannt aussah, aber Monika tat gegen ihre Überzeugung ihr Bestes für mich, dann war auch diese Hürde überwunden. Als Beruf konnte ich Schriftstellerin angeben, das war doch was; der Doktortitel ließ sich problemlos verschweigen. Nur das mit dem autistischen Kind war und blieb ein Haken. Ich schrieb am Ende: »Ich bin ortsgebunden.«
    Jetzt hieß es, sich umschauen, das war anstrengend, wie Einkaufen im Baumarkt ohne Berater. Wenig war zu finden, das wenige uninteressant. Ich staunte über diejenigen meiner Freundinnen, die in eine Liste von Adjektiven gießen konnten, was sie wollten, und entschieden sortierten. Was wollte ich? Ich wusste es nicht. Ich konnte ja nicht einmal mich selbst einschätzen. Missmutig und gierig zugleich wühlte ich in der Ware, zu der die Menschen in diesem System ganz schnell werden. Was einem dort auf dem Bildschirm begegnete waren Simse, Fiktionen, Entwürfe, die nicht rochen, nicht lächelten, sich nicht bewegten oder was auch immer taten, was lebendige Menschen so tun und was einen dazu bringt, noch ehe das Großhirn sich einschaltet, sie spontan entweder zu mögen oder gar nicht erst wahrzunehmen. All das, was einen normalerweise zu Menschen hinzog, fand auf Ebenen statt, die hier völlig ausgeschlossen waren. Hier war man auf das Großhirn und seine Vernunftentscheidungen reduziert. Das half gar nicht, so lief das einfach nicht.
    Alles, was blieb, war die Bedürftigkeit.
    Nach zwei Wochen beginnt man, die internen Maßstäbe herunterzusetzen, vielleicht doch mal »lächeln«, das Bild freigeben, eine Mail austauschen. Bewegung in die Sache bringen, einfach um der Bewegung willen. Spannend war das ja, es erinnerte mich an die Angstlust, mit der ich als Kind auf großen Rutschen oder dem Sprungturm im Schwimmbad stand. Ich konnte die leeren Abende mit dem fieberhaften Warten auf Post füllen von einem Menschen, der mich gar nichts anging. Konnte mir Bestätigung holen oder Verwundungen, kurze, schnelle Fieber, folgenlose Verkrampfungen, die nichts bedeuteten, weil alles gar nicht wirklich war.
    Entsprechend kam in der Regel mit dem ersten realen Treffen auch das Ende.
    Vier Mal habe ich das durchgestanden, ich fand es anstrengender als eine Bergtour. Jedes Mal wusste ich schon, als ich den Mann von weitem sah, dass es ein Fehler gewesen war, überhaupt herzukommen. Ein einziger echter Augenblick erledigte die Annäherungsarbeit von Dutzenden von E-Mails. Worte entwerfen Welten, als Schriftstellerin hätte ich das wissen müssen, das geht ganz schnell. Aber einer Erfahrung mit allen Sinnen halten diese Welten nicht stand.
    Sie dürfen das nicht falsch verstehen, es waren nette Menschen, die mir begegneten, ganz normale Männer, keine Unsympathen. Sie hatten nur einfach nicht das Geringste mit mir zu tun. Also trank ich meinen Kaffee, nahm alle Kraft zusammen, um mein peinliches Fremdeln freundlich zu überdecken, führte ein belangloses Gespräch und dann nichts wie weg.
    Das Fieber dauerte zwei Monate, in denen ich ein paar sehr erschöpfende Abende hatte. So ging das nicht. Ich suchte nicht irgendeinen Zeitvertreib, sondern jemanden, den ich lieben konnte, mein Gegenstück, den einen, der noch nicht aufgetaucht war und den es vermutlich auch nicht gab, aber was sollte man machen, als ihn zu suchen, auch unter widrigen Bedingungen? Also gab ich es auf, mich »ortsgebunden« anzupreisen.
    Ohnehin war ich mir komisch dabei vorgekommen, am Bildschirm zu flirten, während ich mit der Stimme Simon beim ergotherapeutisch korrekten Halbieren einer Orange anleitete. Ich war ja eigentlich gar kein Single, ich

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