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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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werden.
    Davon ermutigt, wagte seine Schulbegleiterin, mit ihm über den Zehnerraum hinaus zu rechnen, auf den sich seine Klassenkameraden beschränkten. Es war ein reines Experiment. Sie stellte ihm Aufgaben, bot ihm eine Zahlentafel zum Tippen und wartete, was geschah. Simon – so zeigte sich zu aller Überraschung – konnte im Zwanzigerraum rechnen, im Hunderterraum. Im Tausenderraum. Die Grenze war nicht abzusehen. Die Schule und Frau Kaarmann rüsteten nach, mit neuem Lehrmaterial. Ich war so stolz auf ihn.
    Für den Umzugstag hatte ich alle ortsansässigen Freunde mobilisiert und einen Transporter gemietet. Ich wollte alles auf einmal schaffen, in einer gründlichen Aktion. Nur raus dort, raus und möglichst rasch in den neuen Rahmen. Je eher Simon aus der Übergangssituation geholt wurde, desto besser. Alle Möbel waren zerlegt, alle Haken abgenommen, alle Inhalte in Kisten verpackt worden, Abend für Abend, über zwei Monate hinweg. Trotzdem wurde es ungeheuer anstrengend, wir fuhren und schleppten und schraubten den ganzen Tag lang. Jonathan half nach Kräften mit, während Simon von seinem Vater betreut wurde.
    Meine Freunde hängten sich richtig rein. Ein Team räumte aus dem Haus, was mir zustand, ich fuhr, das nächste Team räumte in der neuen Wohnung ein, die Nachbarn kochten. Ich war so dankbar und glücklich und hatte, trotz der Knochenarbeit, endlos Energie. Beinahe war ich euphorisch.
    Dank Christoph, der Schreiner war, und David, der mit einem Schraubenzieher ebenfalls umgehen konnte, waren die Regale, Betten und Schränke bereits aufgebaut, als alle sich am Abend verabschiedeten. Ich stand zwischen Dutzenden Kisten in einer Wohnung, die ihre künftigen Konturen bereits erkennen ließ. Zwar fehlte die Küche, die erst in zwei Tagen installiert werden sollte. Aber wir hatten unsere Kleider, konnten uns waschen und schlafen legen.
    Jonathan, der das große Zimmer erhalten hatte, igelte sich nach dem Gutenachtkuss dort ein und versperrte die Tür, wie das seine Gewohnheit war. Für ihn konnte ich nur hoffen. Simon kam zu mir ins Bett gekrochen. Ich hatte nichts anderes erwartet und mir vorgenommen, mit der Einschlaferziehung nicht gerade jetzt zu beginnen. Irgendwann einmal, das war klar, sollte mein Bett wieder mir gehören, mir allein – und eventuellen Gästen. Aber nicht jetzt. Jetzt galt es, pragmatisch zu sein.
    Er kuschelte sich an mich und wurde rasch ruhig, ich begann schon zu hoffen. Doch dann setzte es ein, das Zucken, das Ächzen, dann folgten die ersten Schreie, die sich aus ihm herauskämpften. Endlich sprang er auf und stand vor dem Bett, das ganze Gesicht verzerrt. »Ich will heim zum Papa.«
    Das war es, was ich mehr als alles gefürchtet hatte. Jetzt würde es geschehen, Simon würde durchdrehen und mein Leben endgültig den Bach runtergehen. Ein übermüdetes, überfordertes Wrack, so würde ich durch meine Tage taumeln, bis sie mich endlich erlösten und im Irrenhaus abgaben. Ich holte tief Luft. Etwas muss in meiner Stimme gelegen haben, ich weiß nicht, was. Ich kann nur hoffen, dass es große Entschlossenheit war. »Simon«, sagte ich, »wir gehen dort nie wieder hin.«
    Er hielt inne, dann kroch er zurück unter die Decke, umklammerte mich mit Armen und Beinen und war wenige Minuten später eingeschlafen. Verschwitzt vor Angst lag ich neben ihm, unfähig, mich zu entspannen oder einzuschlafen. Ich lauschte den neuen Geräuschen: die wenigen Autos auf der jetzt so nahen Straße, die Stimmen nächtlicher Heimkehrer, das Knacken der Heizung. Die Katzen miauten. Alles war gut.
    Die große Katastrophe verschonte uns zwar, dafür folgten die kleinen.
    Aber daraus bestand ja im Grunde unsere Normalität.
    An Scheidungen ist der Witz, dass man sich trennt. Man geht auseinander, erleichtert, kein Paar mehr sein zu müssen. Und man tut das gründlich: räumlich, seelisch und sozial. Man ändert den Wohnsitz, den Namen, den Nutznießer seiner Lebensversicherung, die Frisur und manchmal die Freunde.
    Wenn Kinder da sind und man sich als reif und aufgeklärt versteht, versucht man natürlich, so gut es geht, die Elternrolle davon zu trennen und sie gemeinsam zu leben. Das heißt, man regelt alles so konfliktfrei wie möglich, teilt trotz der wütenden Existenzängste das Nullvermögen, so gerecht es eben geht, schimpft nicht laut vor den

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