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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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zeigt nicht einen Anflug von Freude.
    »Tut mir leid, Paps. Die Kinder müssen ins Bett. Und woher jetzt einen Babysitter nehmen? Bei uns hat alles seine Ordnung. Wir konnten ja nicht wissen, daß du plötzlich Zeit für uns hast.«
    Der Vater kennt seinen Sohn, den schwerbeweglichen. Dann wird eben Stephanie etwas richten, etwas Kaltes, und anschließend wird zur Braut gefahren. Wie sie wohnt, interessiert den Vater schon lange. Vielleicht kann er dies oder das zur Verschönerung beisteuern, wenn er alles gesehen hat. Doch Stephanie ist inzwischen weggefahren. Wohin weiß Golo nicht. Jedenfalls mache sie den Eindruck, als habe sie zur Zeit >etwas Festes<. Mit dieser Information nimmt Golo den schweren Korb wieder auf.
    »Entschuldige mich jetzt bitte, Paps. Ich muß pünktlich sein. Ein andermal. Wenn du wieder mal Zeit haben solltest. Sag uns rechtzeitig Bescheid, damit wir uns darauf einrichten. Darf ich Grüße von dir bestellen?«
    Als er den Sohn wegfahren hört, fällt es ihm ein: Warum ist er nicht mitgefahren? Warum wurde er nicht aufgefordert? Er würde doch nicht stören.
    Die Nachrichten im Fernsehen sind vorbei, das Wetter soll naßkalt bleiben, im Abendprogramm wird nichts geboten, was ihn interessieren würde. Lesen mag er nicht, hat den halben Tag gelesen, Musik mag er nicht und auch nicht absolute Stille. Wärmer könnte es sein, er betätigt den Regler, da fällt es ihm ein: Er hat Hunger. Im Kühlschrank findet er Kopfsalat, den er nicht zubereiten kann, eine halbleere Flasche Mineralwasser, Reste von Butter und Käse. Die Vorratsregale im Keller sind stark gelichtet; reduzierte Bestände auch im Weinkeller. Golo sorgt vorbildlich für seine zukünftige Familie. Immerhin finden sich eine unangeschnittene Salami, eine Dose Ölsardinen, Knäckebrot und Bier, leider nicht kalt. Und die Heizung wird und wird nicht wärmer. Auf dem Kamin liegen Postkarten von seiner Frau an die Kinder, Ansichten von Landhäusern, auf den Rückseiten Grüße, Lob der Landschaft, des besseren Klimas, Poststempel aus dem Tessin, aus Südtirol. Und auf einer Karte Ankündigung der Rückkehr. Er rechnet nach.
    Das wäre übermorgen — eigentlich bin ich doch sehr allein — ein Hobby müßte man haben — nicht so angewiesen sein auf andere

    Ein Tag der Besprechungen. Zum Mittagessen hat Hilde den Chef ins paneelierte Restaurant der Aufsichtsräte verabredet. Hilde ist verärgert. Sie arbeiten zusammen wie in alten Tagen: Ohne ein privates Wort.
    Und alles weil man sich erlaubt hat einmal an seine Kinder zu denken — ach ja — werde den Doktor wieder mal aufsuchen
    Aber Hildes Dispositionen lassen ihm keine Zeit. Und alles ist wichtig. Dabei hat er keinen guten Tag; immer wieder drängt sich der Traum der letzten Nacht in sein Bewußtsein, ein Traum, der auf ein Erlebnis aus der Kindheit zurückgreift, wie seinerzeit die Sturmnacht mit dem riesigen Hund, der mehr ein Wolf war:
    Er ist beim Schwimmunterricht im städtischen Hallenbad. Der Schwimmlehrer hat eine sehr einfache Methode. Er sagt: >Jedes Lebewesen kann von Natur aus schwimmen. Nur der Mensch hat diese Eigenschaft verloren. Wenn man ihn aber ins Wasser wirft, macht er unwillkürlich die richtigen Bewegungen, um nicht unterzugehen!< Nach Übung der Schwimmbewegungen auf dem Trockenen, wirft der Lehrer die Jungen ins Wasser, einen nach dem andern. Mit einer Bambusstange in der Hand steht er am Beckenrand und brüllt Kommandos. Erst wenn einer zu ertrinken droht, wenn die Wellen über ihm zusammenschlagen, hält er ihm die Stange hin, läßt ihn kurz durchatmen und stößt ihn nach schroffer Belehrung wieder weg. Alle Phasen seiner Angst von damals hat er neu durchlebt, die Stöße mit der Bambusstange gespürt, Wasser geschluckt, nach Luft gerungen und geschrien: >Ich bemühe mich doch, ich bemühe mich doch!< während er mit der Stange unter die Wasseroberfläche gedrückt wird, schaut er hinauf: der Lehrer hat das Gesicht des Doktors.
    Seine These, daß Träume Vergangenes wiederkäuen, paßt hier nicht. Eine so deutliche Reproduktion von Bildern aus der Kindheit, vermischt mit Gegenwart, läßt sich nicht als irrational abtun. Aus eigener Erfahrung fürchtet er Kräfte, die stärker sind als sein kontrolliertes Ich. Und er fühlt sie. Mitten in einer Sitzung — er folgte den Ausführungen eines Referenten — war da auf einmal wachtraumhaft der Schwimmlehrer mit dem Gesicht des Doktors, neben ihm Hilde. Sie wiederholt, was sie ihm nach dem Mittagessen

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