Ich liebe mich
wir müssen durch. Ich muß einmal an mich denken, nur an mich! Da ist der Nächste notgedrungen der Leidtragende. Vielleicht fühlst Du Dich ganz wohl dabei, wer weiß? Nur: Laß uns bitte nichts übereilen, einander nicht vor Tatsachen stellen. Ich mache Dir keine Vorwürfe. Ich bemühe mich, den besten Weg zu finden, und ich werde Dich auf dem laufenden halten...
Er sitzt im Puppenheim, geht seit Tagen nicht mehr ins Werk. Alois’ Neugier hat ihn veranlaßt, auch vor seinen Mitarbeitern für einige Zeit verreist zu sein. Er mag nicht mehr lügen, Ausreden benützen.
Ach ja — hätte den Brief nicht schreiben sollen — sie wird mich lächerlich finden — Konsequenz bedeutet Scheidung — Endgültigkeiten — warum kann man nicht vernünftig mit allen reden — man will ja auch leben
Er sitzt im blauen Wohnzimmer den ganzen Tag. Und hat Zeit. Hilde erledigt im Werk die Arbeit, bringt abends die Unterschriftenmappe mit. Die Teamarbeit klappt. Sie versteht, daß er Gerede vermeiden muß. Es sei in ihrem Interesse hat er ihr gesagt. Alles braucht seine Zeit. Schön peu à peu. Auch Monika. Sein Versuch, das Kind mit Geschenken zu kaufen, mißlingt täglich. Sie mag sich nicht an seine Anwesenheit gewöhnen, läßt nicht mit sich scherzen. Wenn sie von der Schule kommt, ißt sie bei der Familie gegenüber zu Mittag und bleibt dort, bis die Mutti sie abholt. Die Nachbarn sind verschwiegen und verständnisvoll. Man weiß nie, wofür es gut ist, einem einflußreichen Mann nützlich zu sein.
Er spricht nicht mit den Nachbarn, grüßt nur höflich, wenn er morgens seine Runde macht, zum Metzger, zum Bäcker, in das Feinkostgeschäft und die Drogerie. Man kennt ihn schon, ohne seinen Namen zu wissen, man weiß, in welches Haus er gehört. Anonymität ist in diesem Stadtteil nahezu beleidigend. Seine Rolle gefällt ihm nicht.
Jetzt hat er eine Lösung gefunden. Morgens fährt er in Babettes ehemaliges Appartement, bestellt telefonisch, was Hilde ihm aufgeschrieben hat, und erledigt seine Arbeit. Hier kann er arbeiten, trotz des Wabengrundrisses mit dem wandbreiten Fenster nach nur einer Seite, trotz der Erinnerung. Oder vielleicht deswegen. Hier kann er atmen, hier ist nichts blau, keine hängende Schreibplatte, kein asymmetrischer Tisch, in der Badewanne steht kein Wäschegestell voller Schlüpfer, hier gibt es keine Topfpflanzen, keine Untersetzer, keinen Fipsi und keine Monika.
Für kurze Zeit sah es so aus, als habe er Monika gewonnen. Der Wellensittich mit Käfig an chromblankem Ständer begeisterte sie, daß sie sich sogar dafür bedankte. Leider beging er in seiner Freude den Fehler, sie auf den Schoß zu nehmen. Sie gefror förmlich unter seiner Berührung, setzte ihr kleinliches Trotzgesicht wieder auf und weigerte sich, zum Abendessen zu erscheinen.
Stumm sitzt der Sittich im Käfig. Hilde macht sich Vorwürfe, weil sie Monika geschlagen hat. Noch als sie unter dem Van-Gogh-Druck im hochglanzpolierten Ahornbett Modell >Florida< liegen, sprechen sie über das Kind.
Da piepst der Sittich. Sie stehen auf, das renitente Kind kommt aus seinem Zimmer, sieht ihn im Schlafanzug, die Mutti im dünnen Nachthemd und fängt an zu weinen. Die Mutter tröstet das Kind. Er nimmt das blaue Tischtuch aus der Ecke, um damit den Käfig abzudecken, wird gerügt, der Vogel könne mit seinem scharfen Schnabel das Gewebe zerknabbern, legt ohne ein Wort das Tischtuch wieder weg, holt sein Hemd aus dem Schlafzimmer, während die Mutter das Kind zu beschwichtigen versucht, was mißlingt, weil das Kind ihn nicht mehr an den Käfig lassen will. Doch er ist nicht zu beirren. Langsam, als genieße er den Kindeszorn, knöpft er das Hemd über dem Käfig zu. Der Sittich verstummt, während er knöpft, erscheint jedoch alsbald in der Kuppel, schaut über den Kragenrand und piepst weiter. Monika stampft mit dem Fuß auf.
»Das ist mein Sittich, Mutti! Er darf ihn nicht quälen!«
Seine Geduld hat keine Reserven mehr. Mit Akkuratesse knöpft er das Hemd wieder auf, hängt den Käfig aus, trägt ihn zum Fenster: der gescheiterte Versöhnungsbote flattert hinaus in die Nacht.
»So!«
Dem Affekt folgt Bedauern. Käfigtiere sind des Kampfes um Futter und Überleben entwöhnt und den Härten der Freiheit nicht gewachsen. Er kann’s nicht mehr ändern.
Es fügt sich, daß er für einige Nächte in das Appartement ausweichen kann, um dort morgens von Alois abgeholt zu werden. Das Verteidigungsministerium hat den Besuch einer Kommission
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