Ich liebe mich
Die Straßenbeleuchtung wirft ein fades Ornament an die Decke. Eine Boeing startet.
Ach ja
Wer Personal beschäftigt, wird überwacht und sollte sich keine Extravaganzen leisten. Der Abhängige bezieht seine Sicherheit aus der geordneten Lebensweise seines Arbeitgebers. Veränderungen sind für ihn alarmierend. Insbesondere, wenn er keine vernünftige Erklärung dafür finden kann. Der einfache Mann, der Talent durch Fleiß, Persönlichkeit durch Zuverlässigkeit ersetzen muß, betrachtet differenziertere Regungen als Luxus, und damit als unverantwortlich.
Ein Chef mag ein sogenanntes Privatleben haben. Amouren, kleine Geschichten — das ist nicht nur verständlich, es ist von Vorteil. Diskretion gilt nicht mehr als Ehren-, sondern als Verdienstsache. Der Mitwisser sieht seinen Arbeitsplatz auf lange Sicht gesichert. Ein Chef aber, der seine Familie verläßt, erweckt Mißtrauen und muß mit kleinen Widrigkeiten rechnen.
Alois, der Wagenlenker, hat sich Gedanken gemacht. Und das ist seine Sache nicht. Er möchte die gut bezahlte Stelle behalten, hat sich an den großen Wagen gewöhnt, der seinem beruflichen Renommee viel Glanz gibt. Er muß Klarheit haben. Die Mütze in der Hand, spricht er im Chefsekretariat vor.
»Entschuldigend Fräun Hilde, mir san doch beide Münchner. Und da hätte ich diesbezüglich eine Frage. Vertraulich, verstengens? Was is eigentlich mit’m Chef los? Dahoam hoaßt’s, er sei verreist. Und dabei is er da. Wie soll ich mich jetzt da verhaltn? Ich weiß, mich geht’s nix an. Aber schließlich hab ich Familie und wenn sich da nachher was ändert, mödht i doch rechtzeitig Bescheid wissn. Wissen Sie da Näheres?«
Hilde zog ihn ins Vertrauen. Alois war sehr stolz. Das Werk, erfuhr er, besitze eine Gästewohnung in der Stadt. Dorthin habe sich der Chef zurückgezogen, um eine wichtige Entscheidung zu überdenken. Zu Hause habe er dafür zu wenig Ruhe.
Acht Tage hielt der Stolz, in Geheimnisse der Werksleitung eingeweiht zu sein, vor. Dann fing Alois an zu reden. Zuerst mit den Pförtnern, denen aufgefallen war, daß der Chef neuerdings von seiner Sekretärin chauffiert wurde.
Von der Pförtnerloge machten die Mutmaßungen über den Chef die Runde durch das Werk. Ein Lehrmädchen, das die beiden in der Stadt gesehen hatte — Hilde im Pelzmantel am Arm des Chefs —, wurde für einen Tag zum Mittelpunkt. Ein unzufriedener Abteilungsleiter trug die Kunde zum Kegelabend, an dem auch ein bei der Konkurrenz beschäftigter Klubkamerad teilnahm. Hier war die Vermutung, der Chef wohne bei seiner Sekretärin, bereits unumstößliche Gewißheit. Im Restaurant der Aufsichtsräte ging man noch einen Schritt weiter.
»Ist die Scheidung schon rechtskräftig? Was meinen Sie, Schröder?« fragte jemand. Schröder erwies sich als Freund, tat die Sache, von der er keine Ahnung hatte, als gezielte Intrige ab, und rief nach dem Essen im Werk an. Hilde konnte nicht verbinden, der Chef befand sich in einer Konferenz. Ob sie etwas bestellen könne? Schröder bat um Rückruf und wählte, als dieser ausbleibt, am Abend die Privatnummer.
Stephanie meldete sich: Der Vater sei schon seit einiger Zeit verreist. Schröder fragte, wo er ihn erreichen könne, es wäre dringend. Stephanies Zögern schien zu bestätigen, was er befürchtet hatte. Dagegen antwortete die Tochter auf Fragen nach dem Befinden der Mutter völlig unbefangen. Sie sei zu Hause und es gehe ihr gut, wie immer. In der Tat war die Mutter wie immer. Welchem Umstand sie ihren Gleichmut verdankte, konnte Stephanie nicht ahnen, sie wußte nichts von dem Brief ihres Vaters. Auch Hilde wußte nichts davon.
...Versteh mich recht, stand da nach spröder Einleitung, ich bin in all den Jahren das Gefühl nicht losgeworden, daß Du mich lieber anders gehabt hättest, als ich bin, daß Ihr mich im Grunde gar nicht braucht. Was mich beschäftigt hat, war Euch gleichgültig. Das soll kein Vorwurf sein. Es hat dem Werk genützt, ich wurde erfolgreicher, als ich wollte. Vielleicht war mein Ehrgeiz nur Ventil für die Harmonie, die ich bei Dir nicht fand? Du hattest andere Interessen und hast es mich fühlen lassen. Auch der Rahmen, den ich Dir gab, bedeutete Dir nichts. Ich habe schwere Zeiten hinter mir. Laß mich diesen Weg gehen, von dem ich nicht weiß, wohin er führt. Er ist die Folge unserer höflichen Ehe. Statt zu reden, waren wir immer korrekt. Die psychologische Hilfe, die wir jetzt in Anspruch nehmen, macht nicht zwangsläufig glücklich. Aber
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